Die Stunde des Schakals (German Edition)
Clemencia wieder auf ihrem Bett, schwitzte sie wie zuvor. Sie schaltete ihr Handy ein, löschte drei SMS, die ihr Claus Tiedtke geschickt hatte, und rief Angula an. Obwohl es kurz vor 2 Uhr morgens war, meldete er sich nach dem zweiten Klingeln. Er schien ebenfalls nicht schlafen zu können.
«Wie geht es der Hand?», fragte Clemencia.
«Wird schon.»
«Gut. Wenigstens etwas.»
«Ja», sagte Angula.
«Angula?», fragte Clemencia. Sie hätte gern gewusst, ob über seinem Bett ebenfalls die Augen des Bullterriers leuchteten.
«Chefin?», fragte Angula zurück.
«Donkerkop ist nicht der Killer», sagte Clemencia. «Sonst wäre er nicht geflüchtet. Der Killer ist keiner, der mordet, abhaut und wieder in sein normales Leben zurückkehrt. Er hat kein normales Leben, das habe ich jetzt begriffen. Sein Leben ist identisch mit seiner Mission. Wäre es Donkerkop, der seine Komplizen beim Lubowski-Mord beseitigen wollte, wäre der Job mit Acheson erledigt gewesen. Dann hätte sich Donkerkop neben Achesons Leiche gesetzt und auf uns gewartet. Oder er hätte sich umgebracht. Der Killer hätte einen Schlusspunkt gesetzt, denn er ist …»
Clemencia brach ab. Der Killer war wie ein Kampfhund, der seine Bestimmung gefunden hat. Den Moment, für den er gelebt hatte. Danach kam nichts mehr.
«… jedenfalls wäre er nicht geflüchtet», fuhr Clemencia fort, «aber das tat er, und das heißt, dass er noch nicht fertig ist. Einer fehlt noch, der damals dabei war. Nämlich Donkerkop alias Martinus Cloete. Der ist das letzte Opfer, und deswegen kann er nicht der Killer sein.»
Von draußen auf der Straße war das Splittern einer Flasche zu hören. Dann erregte Männerstimmen.
«Angula?», fragte Clemencia ins Telefon.
«Chefin?»
«Was meinst du?»
«Oshivelo hat meine Akten abtransportieren lassen. Alle!», sagte Angula.
«Ich weiß», sagte Clemencia.
«Selbst wenn ich noch einmal an sie herankäme», sagte Angula, «wer garantiert mir denn, dass nicht die entscheidenden Beweisstücke plötzlich fehlen?»
«Niemand», sagte Clemencia.
«Eben», sagte Angula.
Vor dem Haus brüllte ein Mann, dass es ihm so etwas von egal sei, ob die Schwester bei der Polizei arbeite. Die solle nur kommen, wenn sie sich traue. Clemencia drückte das Handy fester ans Ohr und sagte: «Aber deine Hand, die wird wieder, nicht?»
«Meine Hand?», fragte Angula. «Ich weiß nicht. Ich denke, schon.»
«Wenigstens etwas.»
«Ja», sagte Angula.
«Na, dann …», sagte Clemencia.
«Gute Nacht, Chefin», sagte Angula. Er legte auf.
Draußen ertönte Gelächter. Es entfernte sich langsam, und dann war es still. Selbst die Musik aus der Mshasho Bar hatte aufgehört. Im Dunkel des Zimmers wanderten die Augen des Bullterriers jeweils an die Stelle, auf die Clemencia ihren Blick richtete. Sie fragte sich, was wohl der Killer vor sich sah, wenn er nachts wach lag. Gebrochene Augen, versickerndes Blut? Sie spürte, dass er müde war, unendlich müde, und dass er den Moment herbeisehnte, da er sich zur Ruhe legen durfte.
Als Clemencia durch ein Dauerhupen auf der Straße geweckt wurde, war es hell und fürchterlich heiß. Sie schaffte es, unbemerkt hinüber in die Dusche zu gelangen, um sich frisch zu machen. Es schien nicht viel genützt zu haben, denn als sie herauskam, schlug Miki Selma die Hände über dem Kopf zusammen und beteuerte lautstark, dass Clemencia noch nie so schlecht ausgesehen habe. Miki Matilda krächzte zustimmend, sogar Joseph Tjirondas Leiche habe lebendiger gewirkt. Der Rest ihrer Ausführungen ging in heiserem Röcheln unter. Clemencias Schwester Constancia bot sich an, ihr wenigstens eine schöne Haarverlängerung einzuflechten, und Miki Selma bedauerte, dass sie im Moment leider keinen Rooibos-Tee machen könne, der bei einem solchen Zustand bekanntermaßen Wunder wirke, aber die Stadtverwaltung habe ihnen ausgerechnet heute Morgen den Strom abgedreht, obwohl sie mit den Rechnungen noch gar nicht so lange im Rückstand seien. Das sei doch ein Skandal, denn über die Weihnachtsfeiertage wäre die gesamte Independence Avenue von Katutura bis zum Ausspannplatz mit bunten Glühlampengirlanden vollgehängt gewesen, bei einem Energieverbrauch, der – da sei sie, Selma, sich absolut sicher – ausgereicht hätte, nicht nur die Platten ihres Elektroherds, sondern auch sämtliche Lichter des Hauses bis weit über ihren hoffentlich noch fernen Tod hinaus ununterbrochen brennen zu lassen.
Dass die Stadtverwaltung mit ihrer
Weitere Kostenlose Bücher