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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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holte Miki Selma Schaufel und Besen. Mit spitzen Fingern barg sie Holzkreuz, Spiegel und Foto. Dann entsorgte sie die Tasse. Während sie den Rest zusammenfegte, teilte sie Clemencia mit, dass man den Männern nicht so schnell trauen dürfe. Ein, zwei Tage könnten sich alle zusammenreißen, wenn sie etwas von einer Frau wollten, aber wer wirklich zum Ehemann tauge, das erweise sich erst nach einiger Zeit. Nicht, dass sie Clemencias geplante Hochzeit hintertreiben wolle, sie mahne nur zur Vorsicht. Und dazu, die Hilfe von gestandenen Frauen, die ihre Erfahrungen im Leben gemacht hätten, nicht schnöde zurückzuweisen.
    Auf dem Foto lächelte Claus Tiedtke so verloren, als habe ihn gerade jemand über Clemencias Familie aufgeklärt.
    «Woher hast du das?», fragte Clemencia.
    Miki Selma breitete die Arme aus. «Dein Bräutigam hat es mir freiwillig gegeben. Ehrlich! Wenn er dir damit eine Freude bereiten könne, gern, hat er gesagt.»
    Clemencia schüttelte den Kopf, fragte: «Wie seid ihr überhaupt hier hereingekommen?»
    Miki Selma trug die Schaufel nach draußen. «Iiih!», machten Jessica und ihre Freundinnen, als Miki Selma das Zeug in die Mülltonne kippte. Dann sagte sie: «Ein Freund Melvins hat uns geholfen. Wirklich ein geschickter Junge! So schnell konntest du gar nicht schauen, wie der das Schloss aufmachte.»
    Melvin sah von seinem Kühlschrank auf und grinste.
     
    Er fragte sich, ob er lebte oder tot war. Dass er keine Schmerzen fühlte, sprach für den Tod. Dass er hustete, sprach dagegen. Vielleicht war er bereits tot gewesen und lebte jetzt wieder. Vielleicht starb er gerade das soundsovielte Mal. Es war so eine Sache mit Leben und Tod.
    Ein Arm fuhr unter seinen Schultern durch und richtete seinen Oberkörper auf. Sein Kopf fiel in den Nacken. Wenn er jetzt die Augen aufschlüge, würde er sehen, was sich hinter dem Schwarz befand. Hinter dem Schwarz, das gar nicht wirklich schwarz war, sondern eher so, als blinkten tausend Farben in einer Weise übereinander, dass sie sich gegenseitig fast auslöschten. Aber eben nur fast. Das hektische Flimmern machte ihn verrückt. Er wollte nichts sehen, gar nichts, aber er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Mehr als die Augen zu schließen konnte er nicht tun, oder?
    Eine Hand stützte seinen Kopf, und etwas Metallenes legte sich an seine Unterlippe. Eine gerundete Kante. Ein Becher oder eine Tasse. Er spürte ein paar Tropfen vom Mundwinkel zum Kinn hinabrinnen. Er versuchte, den Mund zu öffnen, und anscheinend gelang es ihm, denn ein wenig Flüssigkeit benetzte seine trockene Zunge, seinen rissigen Gaumen. Das Gebräu schmeckte teuflisch bitter. Das war in Ordnung so. Wie sollte es denn sonst schmecken? Süß etwa? Er schluckte, hustete, wartete, bis der Becher erneut an seinen Lippen lag, schluckte wieder.
    Langsam senkte sich sein Oberkörper ab. Er war sich nicht sicher, ob ihn irgendwelche Hände stützten, wunderte sich nur, dass sein Kopf nicht wild herumbaumelte. Als er flach auf dem Rücken lag, sah er wieder flimmerndes Schwarz und hörte etwas, das entfernt an Vogelgezwitscher erinnerte. Er überlegte, wo er das schon einmal gehört hatte. Dann begriff er, dass jemand in der Sprache mit Klick- und Schnalzlauten redete. Es war aber nicht der Tod, es sei denn, er hätte sich jetzt die Stimme einer alten Frau ausgeliehen.
    Er wollte sagen, dass er die Vogelsprache leider nicht verstand, aber er brachte keinen Ton hervor und konnte sich auch nicht mehr erinnern, wie man es anstellte zu sprechen. Außerdem stimmte es gar nicht. Er verstand alles, was die Stimme erzählte, auch wenn ihm kein einziges Wort geläufig war. Er hörte Geschichten von der ersten Schöpfung, aus der Urzeit, in der alles ganz anders gewesen war. Die Hügel liefen umher, die Himmelskörper waren noch nicht an ihrem Platz. So saß der Sonnenmann auf der Erde und verbarg das Licht in seiner Achselhöhle. Nur wenn er den Arm hob, wurde es hell, sodass die Menschen jagen konnten. Aber gleichzeitig wurde es so heiß, dass sie fürchterlich verbrannten. Die Sterne kamen erst an den Himmel, als ein Mädchen wütend wurde, weil seine Mutter ihm nichts von dem Essen abgeben wollte, das sie briet. Das Mädchen griff ins Feuer und schleuderte alles in die Nacht. Aus den gerösteten Wurzeln und der Glut wurden die Sterne, aus der Asche die Milchstraße.
    Die Tiere waren damals noch Menschen, auch wenn sie schon ihre Namen besaßen. Sie sprachen, tanzten, heirateten, und selbst die

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