Die Stunde des Schakals (German Edition)
unbedachten Stromsperraktion die Bildungsziele der Vision 2030 ebenfalls in Gefahr gebracht hatte, wollte Miki Selma nur nebenbei erwähnt haben. Denn eigentlich sollten Timothy und Jessica nicht schon den ersten Schultag versäumen, aber irgendwer müsse ja irgendwo Holz besorgen, damit man wenigstens auf der Feuerstelle im Hof kochen könne. Wo die beiden nur blieben? Immerhin funktioniere das Radio dank der Batterien noch. Apropos, Clemencias Mörder, das heiße, natürlich nicht ihr Mörder in dem Sinn, dass er sie ermordet hätte, sondern der Mörder, den sie jage, jedenfalls dieser Martinus Cloete, sei im Radio erwähnt worden. Wahrscheinlich auch im Fernsehen, aber das laufe ja leider nicht. Wer Hinweise auf seinen Aufenthaltsort habe, solle das melden. Und es sei eindringlich vor ihm gewarnt worden. Der Mann sei bewaffnet und brandgefährlich. Ob Clemencia das gewusst habe?
«Martinus Cloete? Der war es nicht», sagte Clemencia.
«Aber wenn sie doch im Radio …»
«Es ist der Falsche», sagte Clemencia. Sie flüchtete in ihr Zimmer und rief Tjikundu auf seinem privaten Handy an. Er befand sich nicht in der Zentrale, sondern in Martinus Cloetes Autowerkstatt an der Mandume Ndemufayo Avenue. Dort saß er in einem kleinen Büro neben Cloetes Angestellter und paukte mit ihr ein, was sie zu sagen hätte, falls ihr Chef anriefe. Die Kollegen, die im Hof unter schusssicheren Westen schwitzten, hätten es allerdings noch schlechter erwischt.
Laut Tjikundu hatte Oshivelo einen Wirbel veranstaltet, wie ihn die namibische Polizei seit der Unabhängigkeit noch nicht erlebt habe. Alles, was eine Waffe in der einen Hand und das Fahndungsfoto von Martinus Cloete in der anderen halten könne, sei auf den Beinen. Im ganzen Land seien Dutzende von Straßensperren eingerichtet worden, die Windhoeker Hotels würden durchkämmt, und vom Zeitungsverkäufer bis zu den Kunden seiner Werkstatt würde jede Person überprüft, mit der Cloete je Kontakt gehabt hatte. Irgendwo musste er ja Unterschlupf gefunden haben. Lebend oder tot, hatte Oshivelo gesagt, er wolle den Mann haben.
«Es ist der Falsche», sagte Clemencia. Sie erfragte Cloetes Privatadresse. Als sie meinte, dort würde der wahre Killer auftauchen, lachte Tjikundu nur. Wenn es den Mann wirklich gäbe, würde er sich das gut überlegen.
«Was soll er da?», fragte Tjikundu. «Cloete ist untergetaucht. Und außerdem wird das Haus bestens überwacht.»
Tjikundu hatte recht, aber Clemencia wusste, dass der Killer trotzdem kommen würde. Zumindest würde er die Lage selbst überprüfen. Er war keiner, der sich auf andere oder aufs Hörensagen verließ. Ob er dann geduldig wartete? Ob er herauszufinden versuchte, wo Donkerkop untergekrochen war?
«Was ist mit dir, Clemencia?», rief Miki Selma von draußen.
«Nichts», rief Clemencia zurück. Sie wählte Angulas Nummer, doch der nahm nicht ab.
«Musst du nicht zur Arbeit?» Miki Selma steckte den Kopf durch die Tür.
«Ich bin suspendiert.»
«Was?»
«So gut wie rausgeworfen.»
«Kindchen!», sagte Miki Selma. Sie bekreuzigte sich und zog die Tür zu. Clemencia wollte es später noch einmal bei Angula probieren. Sie konnte Unterstützung gebrauchen, wenn sie bei Cloetes Haus auf den Killer wartete. Die überwachenden Polizisten würden ihn nicht entdecken, die glaubten ja nicht einmal, dass es ihn gab, sondern waren einzig auf die sowieso ziemlich unwahrscheinliche Rückkehr des Hausherrn fixiert. Unwillkürlich griff Clemencia nach dem Pistolenhalfter an der Hüfte. Es war nicht da, lagerte in der Waffenkammer der Polizeizentrale. Clemencia verließ ihr Zimmer und schloss hinter sich ab.
Neben der Feuerstelle lagen ein paar zerbrochene Latten. Angezündet hatte sie noch niemand. Den Durchgang zum Vorhof versperrte die Familie. Miki Matilda, Miki Selma, Melvin, Constancia und ihre beiden Kinder sowie zwei Cousins, die sich vorübergehend einquartiert hatten, während Clemencia auf Achesons Farm war. Sogar ihr Vater war von seiner Bank aufgestanden.
«Was ist?», fragte Clemencia.
«Wo gehst du hin?», krächzte Miki Matilda.
«Kurz weg.»
«Sie haben dich rausgeworfen?»
«Ihr braucht vorläufig keine Angst zu haben, sie zahlen mich noch», sagte Clemencia. «Sie zahlen mein Gehalt, obwohl ich nicht arbeiten darf. Ist das nicht klasse?»
«Sie werfen dich raus, weil sie nicht glauben, dass du den wahren Mörder kennst?»
«Ich kenne ihn nicht», sagte Clemencia.
«Aber du bist ihm auf der
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