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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Elefanten aßen Fleisch, wenn sie welches bekommen konnten. Erst als die Menschen dem Strauß das Feuer raubten, wurden die Tiere zu Tieren. Oder – wie andere erzählten – als Haitsi-Aibeb sie auseinanderjagte, weil sie feierten, dass er tot war.
    Er versuchte zu nicken. Er war völlig damit einverstanden, dass die erste Schöpfung beseitigt werden musste. In dieser Frage stand er ganz auf Seiten von Haitsi-Aibeb oder wem auch immer. Doch die Geschichten waren noch nicht zu Ende. Immer neue Vogelsprachensätze der alten Frau schwebten um ihn, drehten sich wie Perlhuhnfedern in einem lauen Wind, senkten sich herab und deckten ihn flaumig zu. Ihm wurde angenehm warm, er dämmerte unter seiner Decke aus Zwitscherworten, wurde müde.
    Die Zeit blieb stehen oder verging, und immer, wenn er aufwachte, wurde ihm von dem bitteren Getränk eingeflößt. Er schluckte und hustete und hörte den Vogelsprachenlauten zu, die erläuterten, worin sich in der Jetztzeit Mensch und Tier unterschieden. Ein Tier blieb immer, was es war, während sich Menschen in einen Schakal, eine Schildkröte, eine Eule oder in jedes andere Tier der Kalahari verwandeln konnten. Das taten sie auch gern. Wenn man einen Schakal sah, konnte man deshalb nie sicher sein, dass es sich wirklich um einen solchen handelte und nicht um einen Menschen, der zu irgendeinem dunklen Zweck dessen Gestalt angenommen hatte. Wer es mit den Verwandlungen übertrieb, wusste bald selbst nicht mehr, was er nun eigentlich war. Und dann wurde es natürlich schwierig, in seine alte Haut zurückzukehren.
    Plötzlich spürte er eine Bewegung neben sich und dann etwas Kühles auf seinem Oberschenkel. Seine Augen öffneten sich jetzt wie von selbst. Er sah eine lehmverschmierte Fläche über sich. An einigen Stellen ragten quergelegte Äste heraus. Das Dach einer Hütte. Er stemmte sich mit den Ellenbogen hoch. Im Halbdunkel erkannte er eine alte Frau, die unaufhörlich vor sich hin murmelte. Sie hockte neben ihm auf den Fersen und strich einen Pflanzenbrei über die Wunde an seinem Bein. Die drei Kinder auf der anderen Seite schauten stumm zu.
    «Welcher Tag ist heute?», fragte er. Die alte Frau wiegte den Kopf hin und her. Sie bedeckte den Brei auf seinem Oberschenkel mit einem alten Lappen und verknotete ihn.
    «Wie lange habe ich geschlafen?», fragte er. Er hustete tief aus den Lungen heraus. Die alte Frau sagte etwas in der Vogelsprache, der Junge auf der anderen Seite zwitscherte zurück, und die alte Frau antwortete wieder kurz.
    «Nog nie lank genoeg nie», übersetzte der Junge in Afrikaans. Noch nicht lange genug. Die Hand der Alten drückte seine Brust sanft nach unten. Ihre Finger erinnerten ein wenig an Vogelkrallen, aber das störte ihn nicht. Er lag nun wieder ausgestreckt auf dem Rücken. Noch nicht lange genug? Er schloss die Augen und ließ sich von den Geschichten in der Vogelsprache einmummen. Es gab viele Geschichten, denn jeder Hügel und jeder Strauch und jeder Regenguss hatte seine eigene, die erzählt werden wollte und in der schon der Keim der nächsten ruhte. So würde es weitergehen bis ans Ende der Zeit, und selbst das hätte noch eine Geschichte, die nur darauf wartete, in der folgenden Schöpfung berichtet zu werden.
    Er hoffte, etwas vom Schakal zu erfahren, der versuchte, sich in einen Menschen zu verwandeln, obwohl das ja eigentlich nicht ging, und er war gespannt darauf, ob es dem Schakal trotzdem gelingen würde. Doch er wartete vergeblich. Es war wohl noch nicht an der Zeit dafür. Und so kuschelte er sich in das Gezwitscher vom klugen kleinen Mädchen Gatsing, das vor einem Menschenfresser auf einen Baum flüchtete. Als der Menschenfresser begann, diesen umzuschlagen, rief Gatsing einen Geier und bat ihn, sie nach Hause zu tragen. Der Menschenfresser lief hinterher und schlug vergeblich auf ihren Schatten ein. Dann war zu hören, wie Tsui-Goab zu seinem Namen «Wundknie» gekommen war. Immer wieder wurde er von Gaunab überwältigt, aber bei jedem Kampf gewann er an Kraft dazu. Endlich gelang es ihm, den bösen Gaunab durch einen Schlag hinter das Ohr zu töten. Im Sterben verwundete Gaunab ihn am Knie. Deswegen nannten ihn alle nur noch Tsui-Goab, und sein eigentlicher Name wurde vergessen.
    So folgte Geschichte auf Geschichte, er hörte mehr von Haitsi-Aibeb und anderen trickreichen Halbgöttern, von mordlüsternen Raubtieren und tapferen Jägern, und irgendwann schlief er ein, schlief Stunden oder Tage oder Jahre. Als er aufwachte, war

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