Die Stunde des Schakals (German Edition)
Spur?»
Clemencia antwortete nicht. Aus irgendeinem Grund fiel ihr ein, wie die Augen des Bullterriers sie letzte Nacht angestarrt hatten.
«Du bist hinter ihm her», stellte Constancia fest.
«Und zwar ganz allein», sagte Miki Selma. «Aber der Mann ist gefährlich. Das schaffst du nicht, Kindchen!»
«Nicht ohne unsere Hilfe», krächzte Miki Matilda.
«Der Fernseher funktioniert eh nicht», sagte Melvin, «da können wir genauso gut …»
«Ihr spinnt ja!» Clemencia schüttelte den Kopf.
«Allein gehst du nicht. Unter keinen Umständen!» Miki Selma verschränkte die Arme.
«Sag du etwas, Papa!», drängte Constancia. Miki Selma schnaubte durch die Nase. Ab und zu ließ sie durchblicken, dass ein männlicher Familienvorstand dazu da sei, seine Angehörigen zu versorgen. Wenn er das – aus welchen Gründen auch immer – nicht schaffe, hatte er in ihren Augen nichts zu sagen.
Clemencias Vater sagte auch nie etwas, saß immer nur stumm auf der Bank im Schatten oder manchmal draußen auf der Straße am Gemüsestand, beobachtete, wer vorbeiging, und grüßte selbst seine früheren Freunde nur mit einem Kopfnicken. Wie alt und krumm er geworden war! Sein Gesicht war eingefallen, die Schiebermütze, die er seit dreißig Jahren nur zum Schlafen abnahm, wirkte viel zu groß. Als er jetzt den Mund öffnete, sah man die wenigen schiefen Zähne, die ihm noch verblieben waren. Er murmelte so leise, dass Clemencia ihn nur mit Mühe verstand.
«Damals, als wir unabhängig wurden, haben sie uns Milch und Honig versprochen. Land sollten wir bekommen und Arbeit, die Gesundheitsversorgung würde verbessert werden, die Alten sollten von ihrer Rente leben können und die Jungen nur die beste Ausbildung erhalten. Ich habe das alles nie geglaubt. Woher sollte es auch kommen? Nur eins habe ich glauben wollen, weil ich so darauf gehofft habe: dass Gerechtigkeit herrschen wird. Dass in diesem Land nie mehr ein Mörder ungestraft davonkommt.»
Umständlich ließ er sich auf seiner Bank nieder und zog die Schiebermütze in die Stirn, als sei alles gesagt, was es zu sagen gab. Clemencia dachte an ihre Mutter. An die Hochzeitsfotos. An das Grab auf dem Friedhof von Katutura, das sie schon seit vielen Jahren nicht mehr besucht hatte. Sobald diese Sache hier erledigt war, würde sie …
«Wir sind doch eine Familie», sagte Miki Selma.
«Deine Familie», krächzte Miki Matilda.
Ein Haus alleine zu überwachen, und das rund um die Uhr, war nicht möglich. Noch dazu, wenn man jemanden entdecken wollte, dessen Aussehen man nicht kannte. Den man nur daran identifizieren konnte, dass er unauffällig herauszufinden suchte, was in diesem Haus los war. Vielleicht würde er es aus der Ferne beobachten. Vielleicht würde er unter einem Vorwand bei einem Nachbarn klingeln. Es galt, alles zu registrieren und großflächig präsent zu sein.
«Also?», fragte Constancia.
«Was sollen wir tun?», fragte Melvin.
Clemencia sagte: «Na gut. Aber jeder hält sich genau an das, was ich sage!»
«Natürlich», sagte Miki Selma, offensichtlich schwer gekränkt ob der Vorstellung, dass Clemencia daran zweifeln könnte. Miki Matilda räusperte sich und nickte eifrig. Melvin grinste. Die Kinder hüpften aufgeregt auf und ab, bis Constancia ihnen einschärfte, dass sie in die Schule zu gehen und sich danach nicht mehr als zwei Schritte vom Großvater wegzubewegen hätten. Clemencia erklärte, worauf man achten müsse. Wer irgendjemanden bemerke, der sich für das Haus oder seine Bewohner interessiere, solle um Gottes willen nichts unternehmen, außer unverzüglich ihr Bescheid zu geben. Ob das jeder kapiert habe?
«Klar», sagte Melvin.
«Wir sind doch nicht dumm, Kindchen», sagte Miki Selma, während Miki Matilda etwas von einem kleinen Problem krächzte und auf ihr Handy deutete. Auch die anderen hatten kein Guthaben mehr. Clemencia rückte dreißig Dollar heraus, und die Kinder liefen los, um in der Mshasho Bar Airtime zu kaufen. Miki Selma wollte nachsehen, ob der Nachbar mit seinem Taxi da war. In so einer außergewöhnlichen Situation könne er sich ja schlecht weigern, sie kostenlos zum Ort des Geschehens zu chauffieren. Melvin lieh sich Clemencias Telefon aus. Er müsse schnell etwas organisieren. Um was es ging, wollte er nicht verraten, doch er schwor hoch und heilig, dass es der gemeinsamen Sache diene und kein bisschen illegal sei.
Clemencias Handy kam dabei irgendwie abhanden. Erst eine Viertelstunde später entdeckte sie, dass
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