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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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die alte Frau verschwunden. Um ihn saßen die drei Kinder, der alte Mann, den er für den Tod gehalten hatte, und eine jüngere Frau, die ihn auf Afrikaans ansprach: «Du bist sehr krank.»
    «Nein», sagte er. Die Frau war wahrscheinlich die Mutter der drei Kinder.
    «Man sucht dich», sagte sie. «Du hast einen Polizisten umgebracht. Und noch einen Mann, drüben, auf der anderen Seite des Nossob.»
    «Ja», sagte er. Er erinnerte sich. Die drei Kinder schauten ihn aus großen Augen an. Sie zeigten keine Angst. Kinder hatten vor allem Möglichen Angst, aber nie vor dem, das wirklich gefährlich war.
    «Hoekom? Warum?», fragte die Frau.
    Er blickte sich in der Lehmhütte um. Seine blaue Tasche stand nahe dem Eingang. Der Lauf der Kalaschnikow ragte heraus.
    «Warum hast du sie umgebracht?»
    Er hustete. Er hatte lange geschlafen, aber nicht lange genug, um sich in etwas anderes verwandeln zu können. Er sagte: «Ich habe sie umgebracht, weil sie meine Kinder nicht leben lassen wollten.»
    Er saß auf einer dünnen Schaumstoffmatratze, über die eine braune Decke gebreitet war. Eine Decke der Art, wie sie die Hilfsorganisationen verteilten, wenn in der Regenzeit der halbe Norden des Landes überflutet wurde. Doch er war nicht im Norden, und es gab jetzt keine Überschwemmungen. Es herrschte Dürre.
    «Lügst du?», fragte die Frau.
    «Nein», sagte er.
     
    Alles war stickig-heiße Nacht, und die Augen des Bullterriers glänzten groß wie zwei Monde. Sie saugten den Blick an, bis man sich in ihrem kalten Licht verlor. Es war müßig, in ihnen etwas Menschliches zu suchen. Schließlich handelte es sich um die Augen eines Tieres. Eines Kampfhunds, der noch dazu tot war. Clemencia bildete sich die fahlgelben Lichter nur ein. Sie schwebten über ihr im Dunkel, so nah, dass der Bullterrier ihr mit einem schnellen Zuschnappen das Gesicht hätte zerfleischen können, wenn es ihn wirklich gegeben hätte.
    Clemencia kannte sich mit Hunden nicht aus. Einmal, als sie noch ein Kind war, hatten sie für ein paar Wochen eine Promenadenmischung aufgenommen. Das Tier hatte schon ein lahmes Hinterbein, als es ihnen zugelaufen war. Es war allen im Weg herumgehinkt und bald darauf draußen auf der Straße überfahren worden. Clemencia hätte es gern im Hinterhof begraben, doch Miki Matilda hatte gesagt, dass das überhaupt nicht in Frage käme. Dann war der Kadaver plötzlich verschwunden.
    Wie man Hunde abrichtete, wusste Clemencia nicht. Sicher hatten manche Rassen einen angeborenen oder angezüchteten Tötungsinstinkt, aber was sie in den Augen von Achesons Bullterrier erkannt hatte, war mehr als das gewesen. Nämlich das Ergebnis einer vollkommenen Dressur, nach der das Tier nicht nur die ihm zugedachte Aufgabe verlässlich erfüllte, sondern mit ihr eins wurde. Es zählte nichts anderes mehr als das Zubeißen, Festhalten, Zerstören, selbst um den Preis des eigenen Untergangs. Clemencia war sich sicher, dass der Hund gewusst hatte, was geschehen würde, wenn sie den Abzug der Pistole drückte. Es war ihm egal gewesen, er konnte nicht anders. Insofern war diese unbarmherzige Tötungsmaschine gleichzeitig ein hilfloses Opfer gewesen. Konnte Clemencia deswegen den Blick des Bullterriers unmittelbar vor dem Schuss nicht vergessen?
    Sie starrte in die gelben Lichter über sich, erschrak kaum mehr vor deren Kälte, der Grausamkeit, der Zweifelsfreiheit bis in den Tod. Diese Augen sahen keine Chance, irgendetwas zu ändern, sie wussten nichts von eventuellen Alternativen. Galt das vielleicht auch für den unbekannten Killer? Machte es ihn zum perfekten Mörder, dass er ein vollkommenes Opfer war? Gefangen in Zwangsvorstellungen, Situationen, Verhältnissen, die ausweglos waren, weil sie alles bestimmten und alles umfassten?
    Verdammt!, dachte Clemencia. Sie empfand doch nicht etwa Mitleid? Mit einem mehrfachen Mörder? Es war wahrlich nicht ihre Aufgabe, seine Taten zu entschuldigen. Seine Beweggründe hatten sie nur insoweit zu interessieren, als sie dazu beitrugen, ihn zu fassen und zu überführen. Und nicht einmal das stimmte mehr. Clemencia war auf Zwangsurlaub geschickt worden. Das alles ging sie überhaupt nichts an. Wenn nur nicht die übergroßen gelben Bullterrieraugen aus jeder Ecke des Zimmers starren würden!
    Es war brütend heiß. Clemencia stand auf und ging hinaus, um zu duschen. Von der Mshasho Bar hämmerten die Bässe herüber. Auf der Straße grölten ein paar Besoffene. Das kalte Wasser tat gut, doch kaum lag

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