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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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war schwerer als der Diamant ihrer Großmutter, den sie trug.
    Mit der Linken wischte sie die Feuchtigkeit der Tränen aus den Augenwinkeln. Sie wollte keine Zeit mit Weinen vertun. Sie musste Pläne machen. Sie hatte das Recht und die Pflicht, Pläne zu machen.
    Sie musste unbedingt ihren Onkel morgen zu ihrer Mitgift befragen. Andrieu hatte sich zwar von den Folgen der großen Pest erholt, aber sie wusste, dass das nicht ohne Verluste abgegangen war. Großmutter hatte einen Teil des Familienschmucks geopfert, um die ärgste Not zu lindern.
    Der Ring an ihrer Hand war ein letztes Überbleibsel des prächtigen Geschmeides, das in den Besitz des Königs übergegangen war, damit Andrieu überleben konnte. Inzwischen wurden die Ländereien wieder voll bewirtschaftet, der Pelzhandel florierte, und ein Teil des Getreides konnte sogar in die Städte verkauft werden. Sicher hatte Jean-Paul den Rat seiner Mutter befolgt, für künftige Notzeiten Rücklagen zu bilden. Wie hoch mochten sie mittlerweile sein? Hoch genug, um ihre Mitgift in Gold auszubezahlen?
    Tatsache war, das Haus Cornelis brauchte Bargeld. Sie durfte sich nicht darauf verlassen, dass Rubens Aktivität mehr einbrachte als Aufregung und Ärger. Sie konnten sogar von Glück sagen, wenn es allein dabei blieb. Sie musste auch in Erfahrung bringen, wie hoch sie bei dem Lombarden in der Schuld standen.
    Ein scharfes Ziehen in ihrem Unterleib erinnerte sie daran, dass sie seit dem Morgengrauen auf den Beinen war. Auch wenn in ihrem Kopf alles drunter und drüber ging, ihr Körper und ihr Kind verlangten dringend nach Ruhe.
    Mit müden Bewegungen kleidete sie sich aus. Längst hatte sie Lison zu Bett geschickt. Es gefiel ihr, jetzt allein zu sein. Die Gesellschaft der heiligen Anna, die einen Platz neben der Stundenkerze erhalten hatte, genügte ihr.
    Der ersehnte Schlaf ließ jedoch auf sich warten. Sie lag auf dem Rücken und starrte in den dunklen Betthimmel hinauf. Sie hatte die Hände gefaltet. Das neue Gewicht des Siegelringes war ungewohnt, im Gegensatz zum Diamanten ihrer Großmutter, der ein Teil ihrer selbst geworden war. Würde er ihr Glück bringen?

20. Kapitel
    B RÜGGE , 6. A UGUST 1369
    Domenico Contarini zählte gewohnheitsgemäß die Wechseltische unter den Arkaden der venezianischen Loge an der Flamingstraat.
    Die Kunden drängelten sich, aber es handelte sich ausschließlich um einfache Händler, Handwerker und Bootsleute. Das bedeutete, dass nur kleinere Münzen über die Tische gingen. Von Gewinn konnte keine Rede sein. Seit der endlose Regen die Grenzen zwischen Gassen und Kanälen verschwimmen ließ, lagen die Geschäfte brach.
    Er sah, auf der vergeblichen Suche nach einem Sonnenstrahl, zu den Dächern hinauf. Die treppenförmigen Giebel der hohen Steinhäuser wurden von grauen Wolken gesäumt.
    Sein wandernder Blick erfasste die Zweige der Weiden, die am Kanalufer im Sog des steigenden Wassers auf die nächste Brücke zutrieben. Mit einer unwirschen Bewegung rückte er den breitkrempigen schwarzen Hut zurecht. Der Gedanke daran, dass er Jean-Paul von Andrieu noch erreichen musste, unterbrach seine notgedrungen müßigen Betrachtungen, wobei ihm dessen Nichte Aimée wieder in den Sinn kam. Er schüttelte den Kopf.
    Ihren Onkel muss ich finden, nicht sie!
    Er hatte den Mann mit dem spitzen Hut gar nicht kommen sehen. Erst als er neben ihm stand, bemerkte er ihn. »Salomon! Endlich. Habt Ihr eine Spur des burgundischen Ritters aufgetan?«
    »Ich muss Euch enttäuschen. Weder in den Herbergen der Stadt noch in den Faktoreien der ausländischen Handelsniederlassungen gibt es neue Gäste. Flandern ertrinkt.«
    »Was hört Ihr aus dem Hause Cornelis?«
    »Ruben Cornelis ist zu einer Handelsreise aufgebrochen. Man spricht von Portugal und Geschäften mit Öl.«
    »So ein Unsinn. Ich muss lachen. Ruben Cornelis ist nicht der Mann, der Handel mit Olivenöl treibt. Ich wette, er führt etwas im Schilde, das schnelleren Profit verspricht.«
    »Was könnte das sein? Sklavenhandel?«, warf Salomon ein.
    Contarini winkte ab. »Pera am Schwarzen Meer, Venedig und Genua sind die Zentren des Sklavenhandels. Dort liefern Piraten und christliche Ritter in schöner Eintracht die armen Seelen ab, die sie gefangen genommen haben. An einem so heißen Eisen wird sich Ruben nicht die Finger verbrennen.«
    »Was kommt dann in Frage?«
    »Weiß der Teufel. Eigentlich habe ich auch ein ganz anderes Problem. Kommt, lasst uns einen trockenen Ort aufsuchen. Ich muss mit

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