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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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erkennen?«
    »Es gibt im ganzen Königreich nur einen einzigen tropfenförmigen Diamanten, der auf so seltsame Weise geschliffen ist. Auch die anderen Steine besitzen diese glatten Flächen. Da bisher noch niemand das Geheimnis lüften konnte, wie Diamanten auf solche Weise bearbeitet werden können, war der König an ihnen besonders interessiert.«
    Contarini nickte. Er wusste, dass in Venedig und anderen Städten zahllose Goldschmiede daran arbeiteten, die seltenen Steine auf diese Weise zu veredeln. Bisher hatten sie sich stets solchem Zugriff widersetzt.
    Er sah, wie Aimée den großen Stein mit den Fingerspitzen berührte. »Großmutters Schmuck«, sagte sie dabei gedankenverloren.
    Er hätte auch den letzten Zweifel ausräumen und verraten können, dass er sehr wohl wusste, dass diese Steine aus der Schatzkammer des Königs stammten. Dass Seine Majestät mit dem Erlös Soldaten und Kriegsgerät bezahlt hatte, weil ihm die Finanznot der Krone keine andere Wahl ließ. Eine Befürchtung veranlasste ihn jedoch, zu schweigen. Wollte Aimée Cornelis etwa Besitzansprüche anmelden? Frauen und Edelsteine waren eine gefährliche Kombination.
    »Ihr meint, Ihr habt ein Anrecht darauf?«, fragte Contarini Aimée.
    »Haltet Ihr mich für einfältig?« Sie reagierte gekränkt. »Wie immer Ihr in den Besitz der Steine gekommen seid, sie wurden dem König verkauft und gehören uns nicht mehr. Werdet glücklich damit. Glücklicher als in Lille, wo sie Euch fast das Leben gekostet hätten.«
    »Aimée!«, mahnte Jean-Paul. »Entschuldigt bitte meine Nichte, Messer Contarini. Diese Tage sind nicht leicht für sie. Jede Erinnerung an ihre verstorbene Großmutter schmerzt.«
    Contarini hatte in Aimées Worten nichts Tadelnswertes gefunden. Ihre Reaktion hätte ihm so oder so gleichgültig sein können, aber das war sie ihm ganz und gar nicht. Seine Phantasie gaukelte ihm Aimées Bild in einer höfischen Robe vor, angetan mit dem unzerstörten prächtigen Halsschmuck.
    »Nehmt Eure Steine wieder an Euch«, störte Jean-Paul seine Vision. »Es ist nicht nötig, dass sie gesehen werden. Nicht, dass sie Euch noch einmal in Schwierigkeiten bringen.«
    Contarini wandte sich Jean-Paul zu.
    »Ihr könnt nicht ermessen, was Ihr für mich getan habt, Seigneur. Ich stehe tief in Eurer Schuld. Erst habt Ihr mir das Leben gerettet, nun gebt Ihr mir meine Ehre zurück. Diese Steine gehören nicht mir. Ich bin nur der Mittelsmann, der sie weiterleitet. Ihr Verlust hätte mich in große Schwierigkeiten gebracht. Wenn es also etwas gibt, mit dem ich meine Dankbarkeit erweisen kann, dann stehe ich Euch voll zu Diensten.«
    »Es ist meine Christenpflicht, Euch zurückzugeben, was Euch gehört«, wehrte Jean-Paul den Dank ab. Gleichzeitig flog sein Blick zu Aimée, und Contarini sah ihm an, dass er einen Entschluss fasste.
    »Wenn Ihr mir wirklich eine Gefälligkeit erweisen wollt, so gibt es tatsächlich einen Dienst, der mir von großem Nutzen wäre, Messer Contarini. Ich sorge mich um meine Nichte, die fern von ihrer Familie mit einem Mann verheiratetet ist, der oft auf Reisen und nicht immer an ihrer Seite ist. Es wäre mir eine große Beruhigung, wenn ich wüsste, dass sie in Euch einen vertrauenswürdigen Berater zur Seite hätte, wenn ich nicht in Brügge bin.«
    »Onkel!« Aimée protestierte unverzüglich. »Das ist nicht nötig. Vetter Colard ist mir in Abwesenheit Rubens eine Stütze. Ich brauche keinen lombardischen Leibwächter.«
    »Sei mir nicht böse, liebe Aimée«, versuchte er sie zu beschwichtigen. »Es geht mehr um meine Beruhigung als um deine Sicherheit. Die venezianischen Kaufleute verfügen über ein gutes und schnelles Kuriernetz. Ich möchte regelmäßig über dein Wohlergehen unterrichtet werden. Es fällt mir schwer, dich in Brügge zurückzulassen.«
    Contarini sah den Kampf in Aimées Gesicht. Die Liebe, die sie für ihren Onkel empfand, trug den Sieg davon. Sie folgte seinem Wunsch. Er konnte im Gegensatz zu ihr die Bitte ihres Onkels gut nachvollziehen. Offensichtlich hatte Jean-Paul von Andrieu denselben Eindruck von Ruben gewonnen wie er. Dabei wusste er noch nicht einmal etwas von den Schuldscheinen. Wie sollte er Salomon erklären, dass er sie unter Umständen nie vorlegen würde?
    »Ihr könnt mir vertrauen«, erwiderte er. »Mein Haus am Walplein steht Euch offen. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich vor Eurer Abreise dort besucht.«

21. Kapitel
    B RÜGGE , 12. A UGUST 1369
    Das Pferd preschte so nah

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