Die Stunde des Venezianers
Euch reden.«
Contarini lief durch den Regen voraus. Wasser tropfte von den Rändern seines Hutes auf seinen Umhang. Im Haus van der Beurze suchte er Schutz. Van der Beurze stellte seinen Gästen nicht nur eine Unterkunft bereit, sondern auch Lagerraum für ihre Waren. Wenn es gewünscht wurde, betätigte er sich zudem als Makler und vermittelte zwischen den ausländischen Händlern und ihren Kunden. Die Trinkstube seiner Herberge war deswegen ein beliebter Treffpunkt. Contarini fand gleich einen Platz zwischen bärtigen Hansehändlern, die in nordischer Sprache debattierten. Es war an der Zeit, dass er Salomon einweihte.
»Nun wisst Ihr, warum ich Jean-Paul von Andrieu um jeden Preis finden muss«, schloss Contarini. »Die Steine, die ich in Paris erhalten habe, sind leider so außergewöhnlich, dass ich sie nicht gegen andere ersetzen kann. Es gibt zwar Diamanten auf dem Markt, aber nur wenige, die so vollkommen geschliffen sind wie diese. Der Barbar, der den Befehl gegeben hat, sie aus dem Geschmeide zu brechen, gehört gesteinigt, auch wenn er der Schatzmeister des Königs von Frankreich sein sollte.«
»Herr im Himmel«, murmelte Salomon. »Ihr hättet dort sterben können, ohne dass je eine Menschenseele von Eurem Schicksal erfahren hätte.«
Contarini verzog spöttisch den Mund.
»Bis auf meinen Onkel hätte das niemanden betrübt. Wie Ihr wisst, lebe ich allein.«
»Es gibt Menschen, die Euch hoch achten.«
»Wenn dem so ist, freut es mich«, erwiderte Contarini. Obwohl in Brügge fast fünfzigtausend Menschen lebten, hatte er nicht viele Freunde. Die Tatsache, dass er die venezianische Loge mied und sich ein Haus am Walplein gemietet hatte, behinderte den privaten Kontakt mit seinen Landsleuten. Mit den übrigen machte er lediglich Geschäfte. Er war ein Einzelgänger, und er war es gern.
»Was habt Ihr nun vor?«, wollte Salomon wissen.
»Bringt mir alle Schuldscheine, die Ruben Cornelis unterschrieben hat. Ich werde sie de Fine vorlegen, das macht ihn bestimmt gesprächig.«
»Vor zwei Tagen hat er sich geweigert, Euch zu empfangen«, entgegnete Salomon. »Wollen wir an ihn herankommen, muss ich unter Cornelis' Gesinde nach einem Verbündeten suchen.«
»Habt Ihr nicht mittlerweile ein ganzes Netz von Informanten über Flandern verteilt, mein Freund?«
»Man kann nie genug von ihnen haben.«
»Das stimmt, aber ich werde trotzdem noch einmal persönlich im Hause Cornelis vorsprechen. Am besten, ich verliere keine Zeit, bis ich alle Schuldscheine habe, und mache mich auf den Weg. De Fine lässt sich sicher nicht einfach verleugnen.«
Er behielt recht mit seiner Vorhersage.
»Messer Contarini.« Colard erhob sich bei seinem Eintritt höflich. »Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?«
»Könnt Ihr es nicht erraten? Die Umtriebe Eures Vetters. Wann erwartet Ihr ihn zurück?«
Ihm entging nicht, dass Colard sichtlich beunruhigt war und die Antwort hinauszögerte. Gerade wollte er die Angelegenheit beschleunigen und die Schuldscheine, die er hatte, aus seiner Tasche ziehen, als sich in seinem Rücken die Tür öffnete.
»Ist es erlaubt, kurz zu stören, Colard?«
Aimées unverwechselbare Stimme sorgte dafür, dass Contarini die Papiere stecken ließ. Er stand auf, um ihr Reverenz zu erweisen. Sie war in Begleitung.
»Welch eine Überraschung«, hörte er Jean-Paul von Andrieu erfreut ausrufen. »Wie schön, Euch gesund und bei Kräften wiederzusehen! Woher habt Ihr gewusst, dass Ihr mich hier findet?«
»Andrieu.«
»Immerhin entsinnt Ihr Euch meines Namens«, lachte Jean-Paul. »Beim Anblick Eurer Miene hatte ich eben den Eindruck, Ihr würdet mich nicht wiedererkennen.«
»Ihr kennt einander?«
Colard stellte die Frage, die auch Aimée bewegte.
»Ihr habt mir das Leben gerettet«, sagte Contarini und streckte Jean-Paul die Hände entgegen. »Wie kann ich Euch danken?«
»Es war mir ein Anliegen. Wie ist es Euch ergangen? Erzählt. Aimée, meine Liebe, das ist Messer Domenico Contarini. Ein Reisegefährte, dessen Bekanntschaft ich in Lille gemacht habe. Ich habe Euch von meiner Nichte erzählt, nicht wahr?«
»Die Ehrendame der Herzogin.«
»Nun ist sie die Dame dieses Hauses«, erklärte Jean-Paul mit einem seltsamen Unterton, der Contarini nicht entging. »Habt Ihr Zeit? Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Bekanntschaft bei einem Krug Wein auffrischen könnten.«
»Das ist mir ein Herzenswunsch. Auch ich habe dringend etwas mit Euch zu bereden.«
Wenig später fand er
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