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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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sich im prächtigsten Repräsentationsraum des Hauses, der fast schon die Ausmaße eines Saales hatte. Vier hohe Glasfenster spendeten auch an einem Regentag so viel Licht, dass es keiner Kerzen bedurfte.
    Aimée füllte die Glaspokale, und die Anmut ihrer Bewegungen lenkte Contarini so ab, dass er Jean-Pauls erste Worte überhörte.
    Nachdem er ausführlich über seine Genesung erzählt und sich noch einige Male bedankt hatte, kam er auf sein Anliegen zu sprechen.
    »Ich habe in Paris Geschäfte abgeschlossen«, fasste er sich kurz, »was irgendwelche Schurken in Erfahrung gebracht haben müssen. Sie haben mich verfolgt bis in die Herberge. Als ich mitten in der Nacht verdächtige Geräusche vernahm, verließ ich die Kammer, um im Hof nachzusehen. Ich habe Euch nicht geweckt, um Euch nicht auch zu gefährden. Vorher hatte ich meine Wertsachen in Eurem Gepäck versteckt. Verzeiht mir bitte den Übergriff.«
    »In meinem Gepäck? Das ist mir unangenehm, denn ich habe nichts gefunden.«
    »Ihr führtet eine Kaufmannsschatulle mit Euch.«
    »Das Holzkästchen?« Aimée, die bisher schweigend gelauscht hatte, mischte sich ein. »Darin befanden sich lediglich Papiere und Kontobücher. Ein Siegelring und eine heilige Anna.«
    Ihre Stimme klang vorwurfsvoll zurückweisend, so dass ihr Onkel sanft den Kopf schüttelte.
    »Ruhig Blut.« Jean-Paul sah von einem zum anderen. »Auch ich habe nichts anderes entdeckt als die Gegenstände, die meine Nichte aufgezählt hat.«
    »Würdet Ihr mir trotzdem den Gefallen tun, das Kästchen zu holen?«, bat Contarini.
    Aimée stand schweigend auf und verließ den Raum. Kurze Zeit später kam sie mit der Kaufmannsschatulle wieder. »Bitte«, sagte sie kühl und stellte sie vor Contarini hin. Dass sie alles andere als ungerührt war, konnte sie nur mit Mühe verbergen. Sie sah Contarini zu, wie er die Schatulle öffnete.
    Er fand sie leer und lächelte offen über Aimées triumphierenden Blick. Sie hatte erwartet, dass er verärgert sein würde, und war etwas irritiert.
    Er aber suchte den versteckten Mechanismus und drehte mit leisem Knacken Oberteil und Unterteil gegeneinander.
    »Ein Geheimfach!«, staunte Jean-Paul.
    »Ihr habt nichts davon gewusst?«, fragte Contarini. Erleichterung ging über sein Gesicht, während er das kleine Ledersäckchen vorsichtig herauszog.
    »Bei Gott, nein.« Jean-Paul sah ihm interessiert zu. »Ehrlich gesagt, hat das Kästchen jahrzehntelang in den Truhen meiner Mutter vor sich hin geschlummert. Erst kurz vor ihrem Tod bat sie mich, es meiner Nichte zu bringen. Was in Dreiteufelsnamen enthält das Säckchen, dass es ein Menschenleben wert sein soll?«
    Contarini zögerte. Die Steine allein verrieten kein Geheimnis und konnten seinen Onkel nicht gefährden. Er zog die Schnüre auseinander und ließ den Inhalt des Lederbeutels mit leisem Klirren auf die polierte Tischplatte fallen.
    Aimée stieß einen Laut reiner Bewunderung aus. Ein tropfenförmiger wasserklarer Stein war darunter, in dessen glatten Prismen sich die Umgebung winzig klein, aber vollkommen widerspiegelte. Er erregte ihre ganze Aufmerksamkeit.
    »Er leuchtet wie ein Stern!«
    »Er sieht aus wie der größte der Sterne von Andrieu«, sagte Jean-Paul entgeistert. Er beugte sich vor, und seine Stimme klang rau. »Aber er kann es unmöglich sein. Er befindet sich, zusammen mit allen anderen Steinen, seit mehr als einem Jahrzehnt im Besitz des Königs von Frankreich.«
    »Ich habe den Schmuck von einem jüdischen Edelsteinhändler erstanden. Was wisst Ihr über diese Kleinodien?«
    »Sie gehören zu einem Halsschmuck, den Aimées Großmutter nach der großen Pest verkaufen musste, um die Grafschaft Andrieu zu retten.«
    »Seid Ihr Euch dessen sicher?«
    »Absolut«, bestätigte Jean-Paul. »Ich selbst habe dieses Collier nach Paris gebracht und dem Schatzmeister seiner Majestät ausgehändigt. Ein einziger Stein blieb im Familienbesitz. Dieser hier.«
    Er fasste nach Aimées Hand und hielt sie hoch. Contarini erkannte den Ring, dessen Leuchtkraft ihn schon in der Liebfrauenkirche erstaunt hatte.
    »Die Sterne von Andrieu. Woher kommt dieser seltsame Name?«, fragte Contarini verwundert.
    »Das ist nicht überliefert. Angeblich hat einer unserer Vorfahren diesen Halsschmuck bei einem Kreuzzeug erbeutet.«
    »Hier handelt es sich um einzelne Edelsteine ohne jede Verbindung. Wenn es stimmt, was Ihr sagt, muss man sie aus der Fassung gebrochen haben. Wie könnt Ihr sie dennoch so genau

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