Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
Vom Netzwerk:
Fliesen.
    »Bei Gott, Blut.« Colard geriet in Panik, sah sich um und fand nur Contarinis versteinerte Miene, als auch er die Treppe hinabsprang und geschmeidig neben Aimée auf die Knie ging.
    »Gebraucht Euren Verstand und kommt zu Euch«, herrschte er Colard an. »Diese Verrückte will nicht nur Rubens Frau umbringen, sondern auch sein ungeborenes Kind. Schickt nach dem Medicus. Sofort. Sie verblutet uns unter den Händen, während Ihr zögert!«
    Durch einen heftigen Schmerz wurde Aimée aus ihrer Bewusstlosigkeit gerissen. Sie zog Arme und Beine schutzsuchend an den Leib. Von einem Punkt an ihrem Rückgrat aus brannte sich die Qual einen Weg durch ihren ganzen Leib. »Heilige Anna«, keuchte sie.
    Sophias Lachen ging in hysterisches Kreischen über. Sie hinkte über die Treppe nach unten. Ihr Triumph verwandelte sich in blankes Entsetzen. Das Blut auf Aimées Kleidern verriet auch ihr, was geschah.
    »Rubens Kind! Was habe ich getan? Sein Kind! Das Vermächtnis meines geliebten Sohnes! Blut von seinem Blut!«
    Contarini schirmte Aimée mit dem Rücken von der lamentierenden Frau ab.
    »De Fine, kümmert Euch um Eure Tante. Ich bringe meine Schutzbefohlene in die Infirmerie der Beginen. Die frommen Frauen werden besser wissen, was zu tun ist.«
    Colards Protest brachte Contarini nicht von seinem Entschluss ab. Dessen Gesicht war ein einziger Vorwurf. Er deutete mit einer verächtlichen Kopfbewegung auf Sophia, die auf den Knien lag, hin und her schaukelte und unverständliche Laute ausstieß.
    »Seid kein Narr. Wollt Ihr sie in der Nähe dieser Irrsinnigen lassen? Seht sie Euch doch an! Sie ist eine Gefahr für sich und andere. Sie weiß nicht mehr, was sie tut. Setzt sie hinter eine verschlossene Tür. Ruft das Gesinde. Wir brauchen einen Tragstuhl.«
    Contarini hörte ihn murmelnd davonstolpern. Er konnte die Augen nicht von Aimée nehmen. Beim Sturz hatte sie die Kopfbedeckung verloren. Das silberblonde Haar löste sich aus den Haarnadeln. Er strich es ihr sanft aus der Stirn.
    »Vivere!«, befahl er mit knirschenden Zähnen in seiner eigenen Sprache. »Vivere!«
    Hinter Aimées Schläfen pochte der Schmerz und übertönte alle Geräusche. Sie fühlte Blut über ihre Schenkel laufen. Ihr Leib verhärtete sich auf unnatürliche Weise, und ihr Herz überschlug sich stolpernd vor Anstrengung. Jeder Atemzug war reine Qual.
    Sie verlor die Verbindung zur Wirklichkeit. Aber da war ein Bewusstsein, dass sie getragen wurde, dass eine Hand ihr die Tränen von ihren Wangen wischte. Eine Stimme wurde ihr zum einzigen Halt. Diese Stimme befahl und tröstete und hielt sie davon ab, in das verführerische Dunkel zu gleiten, das nach ihr griff.

22. Kapitel
    B RÜGGE , 14. AUGUST 1369
    Die massiven Schrankbetten standen in Doppelreihen.
    Der riesige Krankensaal mit seiner wuchtigen Holzdecke war erfüllt von gedämpfter Betriebsamkeit. Beginen versorgten die Kranken. Andere säuberten die Böden, und an der Stirnseite der mittleren Bettreihe arbeitete die Schwester Apothekerin mit ihren Helferinnen. Der Duft ihrer Kräutersalben und Mixturen drang bis zu Colard. Er stand unter dem Türbogen, ratlos, in welcher Richtung er Aimée suchen sollte. Eine Begine, die ein Tablett mit aufgerollten Leinenbinden vorbeitrug, wies ihm den Weg und mahnte ihn zur Rücksicht.
    »Sie ist bei Bewusstsein. Dennoch solltet Ihr Euren Besuch nicht zu lange ausdehnen. Sie ist noch sehr schwach.«
    Aimées blasses Gesicht, das sich kaum vom gebleichten Linnen unterschied, erschreckte Colard trotz der Ermahnung. Wie ernst es um sie stand, konnte man auch daran erkennen, dass sie allein in einem Bett lag, während in anderen zwei Kranke nebeneinander untergebracht waren.
    »Colard.«
    Aimée hatte ihn kommen sehen. Aus fiebrigen Augen sah sie ihm entgegen, ihre Stimme klang schwach.
    »Ist Euch mein Besuch willkommen?«, fragte er vorsichtig. »Ich könnte es Euch nicht verübeln, wenn Ihr niemand e n von uns sehen wolltet.«
    »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was eigentlich genau ge s chehen ist nach Contarinis Bericht«, sagte Aimée stockend. »Vielleicht wollt Ihr die Lücken in meinem Gedächtnis schließen.«
    »Es war schrecklich.« Colard trat bei der Erinnerung daran Schweiß auf die Stirn. Er strich ihn sich mit einer fahrigen Bewegung aus dem Gesicht. »Keiner von uns hat bemerkt, dass Tante Sophia genau in dem Augenblick erschien, als Contarini die Einzelheiten des Schiffsbruchs schilderte. Dass ihr einziger Sohn den gleichen Tod gefunden

Weitere Kostenlose Bücher