Die Stunde des Venezianers
schweren Zeiten, de Fine«, schnaufte er griesgrämig.
Colard erwiderte den Gruß mit Unbehagen. Was wollte der fette Tuchhändler? Ruben ruhte mitsamt seinem gebrochenen Heiratsversprechen auf dem Grund des Meeres. Kortes merkwürdig abschätzender Blick ließ ihn trotzdem das Schlimmste ahnen.
»Ruben Cornelis war ein Tunichtgut, aber dieses Ende hat er nicht verdient«, erklärte Korte, als habe er seine Gedanken gelesen. »Ich nehme an, Ihr werdet die Geschäfte des Hauses Cornelis nun führen. Es gibt da eine Angelegenheit, die ich gerne mit Euch besprechen möchte. Ihr seid auf dem Heimweg? Lasst uns ein paar Schritte gemeinsam gehen.«
Dieser Einladung konnte er sich, so gerne er es getan hätte, nicht entziehen. Der Tuchhändler stapfte die Mariastraat entlang, aber erst an der Abzweigung zur Steenstraat kam er endlich zur Sache.
»Diese Abmachung, die Ihr da mit den Mönchen im nördlichen England bezüglich der Rohwolle treffen wolltet, die übernehme ich. Die Sache ist halbwegs durchdacht und v erspricht Gewinn.«
»Wie kommt Ihr dazu?« Colard brauste auf. »Woher wisst Ihr überhaupt davon?«
»Das könnt Ihr Euch doch denken. Ruben hat bis zuletzt in den falschen Schenken mit den falschen Leuten gezecht. Dabei konnte er sich ausrechnen, dass ich ihn im Auge behalten würde.«
»Das gibt Euch wahrhaftig kein Recht, unsere …«
»Benehmt Euch nicht wie ein Kind, de Fine. Im Gegensatz zu Eurem Vetter seid Ihr vernünftig, und darauf baue ich. Ihr könnt von Glück sagen, dass Rubens Machenschaften mit ihm zusammen in Vergessenheit geraten werden. Denn wir beide halten schließlich den Mund, nicht wahr?«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Wisst Ihr es wirklich nicht?« Kortes widerwärtiges Lachen war ekelerregend. »Ich bin sicher, Ihr werdet es begreifen, wenn Ihr in Ruhe darüber nachdenkt. Also kümmert Euch anderweitig um Rohwolle. Gehabt Euch wohl, mein Lieber!«
Colard stolperte fast über die eigenen Füße, weil ihm der Tuchhändler die Rechte in gespielter Leutseligkeit heftig zwischen die Schulterblätter hieb, ehe er in die Sint Niklas Straat abbog. Erschüttert verharrte er mitten auf der Gasse. Korte erpresste ihn. Er wusste Bescheid und hatte das Haus Cornelis damit in der Hand. Was in Dreiteufelsnamen konnte er tun?
Die Antwort war erschreckend einfach. Nichts.
Ein neuerlicher Gruß hielt ihn auf, ehe er seinen Weg fortsetzen konnte. Der Lombarde. Es kostete ihn Mühe, die Fassung wiederzufinden.
»Messer Contarini, habt Dank für Euren Gruß.«
»Wie geht es meiner Schutzbefohlenen?«
»Besser, ich komme gerade aus der Infirmerie. Das Fieber ist gesunken, und die frommen Frauen versorgen sie gut. Ihre Genesung wird jedoch sicher noch Zeit in Anspruch nehmen.«
»Dann werde ich ihr beim nächsten Besuchstag der Infirmerie meine Aufwartung machen.«
Colard runzelte die Stirn. Das missfiel ihm. Welchen Grund sollte Contarini für einen Besuch dort haben? Reine Höflichkeit? Irgendwie bezweifelte er das.
»Überlegt Euch das bitte gut. Sie wünscht sich verständlicherweise Ruhe, um sich mit ihrer Trauer und den schweren Schicksalsschlägen auseinanderzusetzen. Aber sie hat mir ausdrücklich aufgetragen, Euch für Eure tatkräftige Hilfe zu danken und Euch zu bitten, von einer Nachricht an ihren Onkel Abstand zu nehmen«, richtete er Aimées Worte aus.
Danach wechselte er strikt das Thema. Er wollte Aimées Zustand nicht mit Contarini besprechen.
»Ihr fragt Euch vermutlich, was nach Rubens Tod aus dem Handelshaus wird, nicht wahr?«
»Nein, warum sollte ich? Die Lage ist klar. Ihr werdet die Geschäfte führen, bis die junge Handelsherrin die Zügel in die Hand nehmen kann«, erwiderte Domenico sachlich. Sie gingen jetzt über eine der zahllosen Brücken und sahen dabei einem Tiefmacherkahn zu, der Sand und Schlick aus dem Kanal entfernte. Nach den andauernden Regenfällen arbeiteten die Männer auf den schwimmenden Plattformen Tag und Nacht. Der Abfall der ganzen Stadt war in die Wasserarme gespült worden. Jetzt verrottete er in der Augustsonne und erfüllte die Luft mit Gestank und Myriaden von Fliegen, die auch den beiden Männern auf der Brücke zusetzten.
»Sie soll die Zügel in die Hand nehmen, um welche Geschäfte zu machen?«, fragte Colard nach einer Weile und schlug gereizt nach den Insekten. »Mit der Koralle sind die letzten Wertsachen, die wir hatten, untergegangen. Mit dem Erlös wollten wir Eure Schuldscheine abdecken. Nun werdet Ihr und Euer Adlatus
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