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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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vorüber, dass der fliegende Schweif Aimées abwehrend ausgestreckte Hand be rührte. Aimée stieß einen Protestschrei aus.
    »Seid Ihr noch bei Sinnen?«, rief sie, aber der Reiter mit dem flämischen Löwen auf dem Wams war schon an ihr vorbei.
    Sein Ziel war die Burg des Grafen von Flandern, wo der Bailli, der Vogt, die Interessen seines Herrn in der Stadt vertrat. Ludwig selbst zog es vor, außerhalb von Brügge auf seiner Familienburg Male zu residieren.
    »Ihr seid wohl nicht aus Brügge, sonst wüsstet Ihr, dass dies der Pfad ist, den die Reiter nehmen«, wurde sie von einer Frauenstimme belehrt. »Ich habe Euch noch nie gesehen?«
    »Ich bin das erste Mal auf dem Markt.«
    »In welches Haus gehört Ihr?«
    Aimée gab keine Antwort, sondern hielt Ausschau nach ihrer Magd und der Köchin, die bei einem Händler standen, der wortreich gebalgte Hasen und gerupfte Fasanen anbot. Es war an der Zeit, die Vorräte des Hauses aufzustocken, ehe die Folgen der Missernte und des Unwetters noch stärker zu spüren sein würden. Schon jetzt wurden Wucherpreise für Speckseiten, Bohnen und Rüben verlangt. Hirse und Getreideschrot waren bereits knapp.
    »Ich bin auf der Suche nach einem Händler, der guten Käse verkauft.« Sie tat, als habe sie die Frage nicht gehört. »Könnt Ihr mir vielleicht einen Rat geben, wo ich ihn finde ?«
    »Kommt mit, ich zeige Euch, wo der alte Laarne seine Laibe feilbietet. Wollt Ihr mir nicht wenigstens Euren Namen verraten? Ich bin Trina vom Wollsack .«
    In welchem Zusammenhang hatte sie vom Wollsack gehört? Es wollte ihr nicht einfallen. Sie sah sie freundlich an. Diese Trina vom Wollsack war jedenfalls die Erste, die ihr in Brügge völlig unvoreingenommen begegnete, also antwortete sie.
    »Ich bin Aimée aus dem Haus Cornelis.«
    »Die Gemahlin von Ruben Cornelis!«
    Trinas offenes Lachen wurde augenblicklich durch Vorsicht ersetzt. Sie deutete einen Knicks an.
    »Ihr kennt mich?«
    »Sagen wir, ich habe von Euch gehört.«
    »Gutes oder Schlechtes?«
    »Genug, um mich neugierig zu machen.«
    Während des Wortwechsels waren sie weitergegangen zu einem klapperdürren Bauern, dessen pralle Käselaibe auf einem Bett aus frischem Stroh lagen. Aimée besah sich seine Ware und traf ihre Wahl.
    »Herrin! Da seid Ihr ja. Gütiger Himmel, wir hatten Euch aus den Augen verloren. Was …«
    »Jetzt habt Ihr mich ja gefunden«, erwiderte Aimée ruhig. »Und dank Trina habe ich auch einen guten Käse entdeckt.«
    Bis sie am Ende ihre Münzen in die schwielige Hand des alten Laarne gezählt hatte und sich nach Trina umsah, war diese längst, ohne Abschiedsgruß, im Getümmel des Marktes verschwunden. Warum?
    »Trina? Aber nicht doch. Was wollt Ihr von der?« Die Köchin machte keinen Hehl aus ihrer Verachtung. »Keine ehrbare Bürgerin kümmert sich um Trina vom Wollsack.«
    »Was hat es mit diesem Wollsack auf sich?«, fragte Aimée knapp.
    »Der Wollsack ist eine üble Spelunke an der Waterhalle. Sie zieht die Männer an wie das Licht die Motten. Ihr habt doch gesehen, wie diese Person ihre Reize zur Schau stellt. Auch unser Herr de Fine geht dort ein und aus.«
    Aimée schwieg. Es widerstrebte ihr, in dieser Form zu klatschen. Immerhin wusste sie jetzt wieder, wo sie vom Wollsack gehört hatte. Joris hatte ihn neulich erwähnt.
    Als sie am Ende des Vormittags den Markt verließen, verspürte Aimée ungewohnte Zufriedenheit. Die Sorge um den Haushalt hatte ihr gutgetan und war für sie eine willkommene Abwechslung gewesen. Seit ihr Onkel vor drei Tagen, nach dem Ende der Regenfälle, wieder nach Andrieu aufgebrochen war, hatte sie erfolgreich Ablenkung in der Arbeit gefunden.
    Der Abschied war ihr entsetzlich schwergefallen, obwohl sie wusste, dass sie Jean-Paul nicht länger aufhalten durfte. Hinzu kamen Gerüchte, dass es im Süden des Königreiches neue Pestfälle gegeben habe. Er musste dringend zu seiner Frau und seinen Söhnen zurück.
    Als sie wieder zu Hause eintrafen, debattierte Colard auf dem Hof mit einem Fuhrknecht, und zu allem Überfluss entdeckte sie auch noch Domenico Contarini, der neben der offenen Haustüre wartete. Erst gestern hatte er sie aufgesucht. Was wollte er schon wieder. Glaubte er etwa, Jean-Pauls Auftrag gestatte ihm dauernde Besuche?
    Sie misstraute seiner stets gleichbleibenden Freundlichkeit ebenso wie dem Umstand, dass er sich hartnäckig immer wieder in ihre Gedanken drängte. Mit gefasster Höflichkeit reagierte sie auf seinen Gruß.
    »Es ist nicht nötig,

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