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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Euch mein Wort, dass ich mich auf dieser Reise allen Euren Anweisungen füge und keine Aufmerksamkeit auf mich lenken werde.«
    Aimée machte eine Verbeugung vor Colard. Sie wollte ihm mit dieser Geste zeigen, wie vollendet, auch in der Form, sie ihm ihren Gehorsam erweisen würde. Die kaum bemerkbare Ironie, die in der Geste lag, betonte ihre bezaubernde Weiblichkeit und hätte jeden männlichen Beschützerinstinkt geweckt, nicht nur den von Colard.
    »Und wenn Ihr mir einen Platz im Paradies dafür versprecht«, fuhr Colard auf. »Ich erlaube nicht, dass Ihr Euch derart leichtsinnig in Gefahr bringt.«
    Aimée warf Colard einen Blick unter halb gesenkten Lidern zu. Sie musste ihn überreden; ihn zu zwingen wäre für die ganze Mission misslich gewesen. Es widerstrebte ihr auch, ihn zu erpressen. Aber die Zeit lief ihnen davon. Jeder verlorene Tag brachte sie näher an den Winter.
    »Gut, Colard. Dann entschuldigt mich, ich habe zu tun.«
    »Was habt Ihr vor?«
    Hatte sie sich eines Besseren besonnen?
    Aimée sah bewusst an ihm vorbei, zum Fenster hinaus, wo die Wolken, schon wieder schwer vom Regen, über die Dächer der Stadt zogen.
    »Ich muss einen Boten zu Domenico Contarini schicken. Er wird mir sicher helfen und mir Schutz geben …« Zwischen Colards Fingern zerbrach mit leisem Knacken ein Federkiel.
    »Bleib, Aimée. Der Himmel weiß, dass ich einen Fehler mache, aber wir müssen einen vernünftigen Plan entwerfen, wenn es sich nicht verhindern lässt, dass du deinen Kopf durchsetzt.«
    Sie gönnte sich keinen Triumph. Es ging ihr um die Sache. Aus diesem Grund erhob sie auch keinen Einspruch dagegen, dass Colard plötzlich zum vertrauten Du wechselte. Sie waren eine Familie, und als künftiger Schreiber musste sie ohnehin mit einem rüderen Ton zurechtkommen.

27. Kapitel
    A UF DER S TRASSE NACH D IJON , 5. O KTOBER 1369
    Sie waren endlich unterwegs. Die Mauern von Brügge verschwanden im Regen.
    Der Handelszug, bestehend aus fünf doppelten Ochsengespannen, einem Trupp bewaffneter venezianischer Söldner, den Fuhrknechten und Colard, dem Herrn des Handelszuges mit seinem jungen Schreiber, quälte sich durch die Vorstädte, wo Gerber und Hautfetter ihrem Handwerk nachgingen. Der Magistrat hatte jene Berufszweige vor die Mauern verbannt, um den Bürgern den Gestank zu ersparen, denn sie gerbten die Häute in erster Linie mit Urin. Die ärmlichen Häuser und Werkstätten standen zwischen schlammigen Wegen, auf denen verhärmte Kinder im Schmutz spielten. Aimée schickte ihnen einen melancholischen Blick nach.
    Sie hielt sich gehorsam hinter Colard. Sie ritt einen schwerfälligen Braunen, der sich dem Trott der Ochsen, die das Tempo des Zuges vorlegten, unverzüglich angepasst hatte. »Du brauchst einen zuverlässigen Gaul, aber keinen schönen. Niemand würde einem Schreiber ein wertvolles Reitpferd wie deine Stute anvertrauen«, hatte Colard sich beim Blick in ihr verdutztes Gesicht für den Braunen entschuldigt.
    Sie nahm ihn, wie den Regen, mit stoischer Gelassenheit hin. Die Tatsache, dass sie auf dem Weg nach Dijon waren, war ihr das Wichtigste. Ihre Handelsware ruhte, sorgsam verpackt und gesichert, zwischen rot gebrannten Ziegelsteinen und Bauholz. Sie geleitete die Zukunft des Hauses Cornelis.
    Am frühen Nachmittag quälten sich die Ochsen an Kortijk vorbei, das die Franzosen Courtrai nannten. Tiefe Fahrrinnen und überschwemmte Löcher machten den Weg schwer. Die weite, flache Landschaft, nur unterbrochen von vereinzelten Mühlen und Kanälen, bot Aimées Augen schon lange keinen Halt mehr. Der Himmel hing wie eine graue, gestaltlose Decke über ihren Köpfen. Sie versuchte sich damit abzulenken, dass sie ihre Reisegefährten beobachtete.
    Colard glich, unbeweglich sitzend, einem nassen Holzklotz. Die Hutfedern der Söldner hingen zerrupft und nass über die Krempe, aber ihre Waffen blitzten gefährlich. Die Fuhrknechte hockten mit rundem Rücken auf ihren Wagen, dem Regen preisgegeben und dem Schlamm, der von Pferden und Ochsen aufgeworfen wurde. Das Knirschen der eisenbeschlagenen Räder, das Klirren der Zaumzeuge und die Rufe der Leute waren längst zur monotonen Geräuschkulisse geworden. Die Erregung vor dem Aufbruch ging in Gleichmut über.
    Als sie an der Grenze zum Gebiet des Bischofs von Cambrai im letzten Tageslicht die Laterne einer Herberge vor sich auftauchen sahen, hatte die Reise bereits Spuren hinterlassen. Aimée hatte das Gefühl, nicht einen Tag, sondern eine Woche geritten zu

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