Die Stunde des Venezianers
noch schwerer, ihn zu beurteilen.
Erst als sie geraume Zeit später im dampfenden Wasser eines Badezubers saß, der in einem hübschen Gemach vor dem flackernden Kaminfeuer stand, kehrten die Zufriedenheit und das Glücksempfinden darüber, diese Reise erfolgreich hinter sich gebracht zu haben, zurück.
Fast triumphierend rief sie ihrer Großmutter in Gedanken zu: Ich habe es vollbracht! Wir sind in Dijon! Morgen schicke ich einen Boten zur Herzogin und bitte sie um eine Audienz.
Sie schloss die Augen, um ihr Glück voll auszukosten.
Als ihr wenig später eine schüchterne kleine Magd beim Ankleiden behilflich war, stutzte sie vor der Silberscheibe des runden Spiegels, den das Mädchen hochhielt. Wie sah sie aus? Reichlich strapaziert.
Ein weiterer prüfender Blick gab ihr die Gewissheit, dass Müdigkeit der Grund für ihr Aussehen sein musste. Ausreichender Schlaf würde ihr guttun. Sie war gewohnt, dass man ihre Schönheit bewunderte, und ertappte sich bei dem Wunsch, dass das so bleiben möge.
»Ihr seid wunderschön«, sagte die Magd und legte den Spiegel zur Seite.
Aimées Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, aber ihre Augen blieben ernst.
Ich muss mich ausruhen, noch ist nicht alles geschafft.
28. Kapitel
D IJON , 2. D EZEMBER 1369
Drei Männer beugten sich im Licht der Kerzen über die Urkunde. Federn kratzten über das Wechselpapier. Der Schatzmeister des Herzogs von Burgund zeigte offen seine Missbilligung. Alles in ihm sträubte sich dagegen, dass die Herzogin, ohne Rücksicht auf die desolate Finanzlage des Herzogs, Geschäfte in solcher Höhe abschloss. Es ärgerte ihn, dass er dennoch ihrem Befehl gehorchen musste, und es verwunderte ihn die rätselhafte Art, wie dieses Geschäft abgewickelt wurde.
»Es mutet mich seltsam an, dass so viele Goldstücke mit nur einem Federstrich hingegeben werden sollen«, brummte er. »Was ist das für ein eigenartiges System, das Ihr für die Bezahlung dieser Kunstwerke gewählt habt.«
»Wir haben beste Erfahrungen damit gesammelt«, erwiderte Domenico Contarini. »Das Wechselwesen macht Dieben und Betrügern das Leben schwer, da man nicht länger gezwungen ist, Gold und Silber in Münzen mit sich herumzutragen. Die Gründung von Banken an den großen Handelsplätzen macht es möglich, die Geschäfte über solche Wechsel zu tätigen.«
»Aber wie kommt man am Ende in den Besitz seines Goldes?«
»Man muss lediglich ein Konto bei einer Bank eröffnen. Einen Wechsel legt man dort vor, dann wird das Gold dem Konto gutgeschrieben. Ihr selbst entscheidet dann, ob Ihr es auf dem Konto belassen oder ob Ihr es in Form von Münzen nach Hause tragen wollt. Euer Federstrich lässt das Geld zirkulieren, wir nennen es Giro in Venedig.«
Contarinis Auskunft langweilte Jacob Aubert. Er leitete das erste Bankhaus von Dijon. Da er den Schatzmeister gut genug kannte, spürte er, dass er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte.
»Lasst uns zu einem Ende kommen«, versuchte er die Angelegenheit zu beschleunigen.
»Konto, Giro, Banco , man muss Eure Sprache sprechen, Messer Contarini, um sich in diesen Geldgeschäften nicht zu verheddern. Heißt das, Madame Cornelis hat ein solches Konto bei Eurer Bank in Brügge und eines bei Monsieur Aubert in Dijon?«
»Es genügt, dass sie eines in Brügge hat. In Dijon geht von dort kommend dann die Zahlung auf dem Konto der Bank Contarini ein. Wir unterhalten bei allen bedeutenden Banken eigene Konten, so auch bei Monsieur Aubert. So können wir überall im Auftrage unserer Kunden Zahlungen tätigen und Einzahlungen annehmen. Diese Methode des münzenlosen Zahlungsverkehrs wurde von Kaufleuten für Kaufleute entwickelt. Aber sie beruht natürlich auf gegenseitigem Vertrauen. Eine Bank muss stets so viel Münzgeld vorrätig haben, dass jeder Kunde, in barer Münze, zu jeder Zeit Zugriff auf seinen Besitz nehmen kann.«
»Ich frage mich, was Seine Gnaden zu dieser stolzen Ausgabe der Herzogin sagen wird.« Der Schatzmeister verlor das Interesse an weiteren Einzelheiten.
»Er wird ihren unfehlbaren Geschmack loben«, erwiderte Contarini gelassen.
»Ihr habt leicht reden. Seit mit dem Umbau der Burg begonnen wurde, ist mein Amt noch schwerer geworden. Ist Euch bekannt, dass Dijon zwischen 1356 und 1364 mehr als zweiundzwanzigtausend Goldflorin für die Befestigung seiner Stadtmauern und die Burg ausgegeben hat? Der Krieg mit England wird uns ruinieren.«
»Fürchtet der Herzog denn, dass die englischen Truppen bis vor die Mauern
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