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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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sein. Im Hof der Unterkunft rutschte sie aus dem Sattel und wäre gefallen, hätte nicht eine kräftige Hand sie davor bewahrt. Einer der Fuhrknechte, die feuchten dunklen Haare im Nacken gebunden, war ihr zu Hilfe gekommen.
    »Danke«, murmelte sie mit angestrengt tiefer Stimme und hielt ihren Hut fest. Ihr flüchtiger Blick streifte ein hageres, scharfkantiges Männergesicht, in dem nachtschwarze Augen blitzten.
    Sie wollte es nicht glauben.
    »Kann ich Euch zu Diensten sein, Herr Schreiber?«
    Aimée schüttelte nur den Kopf und realisierte sofort, dass sie jetzt keine Fragen stellen durfte. Erst als die Tür einer Kammer sich hinter ihr und Colard schloss, verlangte sie Auskunft.
    »Ich bin Domenico Contarini begegnet. Was hat er hier in der Rolle eines Fuhrknechtes zu tun? Was soll diese Komödie bedeuten?«
    »Du hast ihn um Hilfe gebeten«, erinnerte Colard sie und schüttelte seinen nassen Umhang aus.
    »Das habe ich. Aber ich habe unsere Absprache so verstanden, dass er unabhängig von uns nach Dijon reist, um dort unsere Interessen gegenüber der Schatzkammer des Herzogs zu vertreten.«
    »Das ist die offizielle Version«, entgegnete Colard und breitete seinen Umhang über einer Bank zum Trocknen aus. »Er reist unerkannt mit uns, so wie du. Willst du etwa deinen feuchten Mantel anbehalten?«
    »Ich bin zu erschöpft für Rätsel, Colard.« Aimée kämpfte mit dem Verschluss ihres Umhanges. »Erklär mir bitte, warum.«
    »Messer Contarini reist als unser oberster Fuhrknecht. Er versteht genügend von diesem Handwerk, um den anderen Männern die richtigen Befehle erteilen zu können. Wir dürfen den Transport nicht ohne Aufsicht lassen, wenn wir in einer Herberge wie dieser sind. Es ist die Aufgabe der Fuhrknechte, ein Auge auf die Ladung zu haben, also brauchen wir als obersten Fuhrknecht einen Mann unseres Vertrauens. Würde ich mich persönlich darum kümmern, wüsste auch der Dümmste, dass wir Wertvolleres als nur Ziegelsteine transportieren.«
    »Er ist ein Geldverleiher und kein Ochsentreiber. Hätte es nicht eine andere Möglichkeit gegeben, das Problem zu lösen?«, wunderte sich Aimée. »Warum hast du es nicht mit mir besprochen?«
    »Er wollte es nicht. Er nahm an, dass du Widerspruch einlegen würdest.«
    »Mit Recht.« Aimée zerrte ihren Mantel von den nassen Schultern, wütend und verwirrt. »Was treibt ihn dazu, sich so sehr in unsere Angelegenheiten einzumischen?«
    »Die Sorge um dein Wohlergehen und deine Sicherheit, das weißt du doch. Er nimmt das Wort ernst, das er deinem Onkel gegeben hat.«
    In den folgenden Reisetagen wanderten Aimées Blicke immer wieder grübelnd in Contarinis Richtung. Die gelassene Freundlichkeit, mit der er störrische Ochsen, faule Fuhrknechte und geldgierige Brückenwärter zur Ordnung rief, beeindruckte sie wider Willen – ebenso wie seine zupackende, kraftvolle Art.
    Er war sich nicht zu schade, Hand anzulegen, als die Fuhrwerke nach tagelangem Regen im Schlamm stecken blieben. Er leitete den Zug durch Bäche und Flüsse, wenn Furten statt Brücken auf sie warteten, und er brachte die Wagen ohne gebrochene Achsen über die übelsten Knüppeldämme.
    Es war offensichtlich, dass er ihnen von größtem Nutzen war.
    Doch Aimée mochte nicht glauben, dass das Wort, das er gegeben hatte, allein der Grund dafür sein sollte, dass Contarini diese Strapazen auf sich nahm. Die gleichmäßig dahintrottenden Ochsen ließen ihr unendlich Zeit zum Nachdenken, und immer häufiger kreisten dabei ihre Gedanken um ihn, dessen Hilfsbereitschaft alles übertraf, was er ihrem Onkel versprochen hatte.
    Es war nicht so einfach, ihn zu durchschauen – nicht so einfach wie bei Colard. Bei ihm spürte sie, dass er auf den Tag hoffte, an dem sie den Wunsch haben würde, seine Frau zu werden. Er widersetzte sich ihr, weil er um seine Stellung im Haus kämpfte. Jahrelang hatte er sich Ruben gegenüber zurückgesetzt gefühlt, hatte bei aller Trauer die Hoffnung gehegt, nach dessen Tod den ersten Platz einzunehmen. Sie machte ihm diesen Platz streitig.
    Er war tüchtig, aber es fehlte ihm der Mut, den Ruben gehabt hatte. Er bewunderte sie, weil auch sie diese Zuversicht ins Leben besaß. Das hatte sie mit Ruben verbunden. Colards Verhalten ihr gegenüber hatte sich nach und nach verändert. Sie war nicht blind. Er hatte begonnen, Gefühle für sie zu hegen, wobei er sich der Triebfeder seiner Gefühle wohl nicht bewusst war.
    Eine Verbindung mit ihr löste vermeintlich seine

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