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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Gehilfen in ihren gewohnten schmutzigen Schürzen, um tonnenweise Kartoffeln zu schälen, und drei Deckleute, die auf dem Lukendeckel des vorderen Laderaums im Kreis saßen und Karten spielten. Er hatte eine Wäscheleine zwischen zwei Ladebäumen spannen lassen, an der Hemden und Unterhosen in der Brise flatterten, und entsprechend seiner Anweisung sahen alle Männer an Bord zu den Flugzeugen hoch und winkten. Der französische Pilot winkte zurück. Als der Abend dämmerte, wurde eine Rauchsäule am Horizont gesichtet, doch das Schiff, was immer es war, zeigte kein Interesse an der Noordendam.
    Als die Nacht hereinbrach, wies De Haan den Maschinenraum an, ganz langsam zu fahren. Sie konnten nicht mehr weit von Cap Bon sein, nahm er an. Zu besseren Zeiten wäre es kein Problem gewesen, es zu finden, da jede Landspitze und jedes Kap, jeder Hafen und jedes Flussdelta auf den Handelsschifffahrtsrouten mit Lichtern markiert waren, die wiederum in den Jahrbüchern beschrieben wurden. Doch der Krieg hatte die Küsten zu geduckten, dunklen Konturen am Rand der See gemacht – wieder einmal der See von Homer. Ratter hatte in der Nacht zuvor die Höhe der sichtbaren hellen Sterne sowie um Mittag den Stand der Sonne gemessen. Er hatte eine natürliche Gabe fürs Navigieren, war der geborene Mathematiker und in der blinden Berechnung am Himmel weitaus besser als De Haan oder sonst jemand an Bord. Und als ein mildes Glühen landwärts den Himmel erhellte, sagte er, es sei Bizerte.
    Diesmal blieben die Lichter auf dem Schiff die ganze Nacht hindurch aus, und sie dampften auf ruhigem Gewässer voran, langsam, aber sicher der Küstenwüste entgegen. Um 20.10 Uhr war ein Schwarm Flugzeuge über ihnen zu hören, der genau Richtung Osten flog. »Könnten unsere sein«, sagte Sims. Sie flogen hoch über der Noordendam, ein fernes, stetes Brummen, und ihr Überflug dauerte dreißig Sekunden. Das Schiff befand sich nunmehr im geografischen Zentrum des Kriegs im Mittelmeerraum: Sardinien und Sizilien im Norden. Britische Stützpunkte auf Malta, weniger als zweihundert Meilen östlich, Wavells Wüstendivisionen in der italienischen Kolonie Libyen, wiederum ein paar hundert Meilen südlich; schließlich das von den Deutschen besetzte Griechenland und die britischen Streitkräfte auf Kreta, vielleicht gerade mal achthundert Meilen im Osten. Pünktlich kurz nach neun ging De Haan in den Funkraum hinunter, um zusammen mit Mr. Ali die BBC-Nachrichten zu hören.
    De Haan genoss es, Ali zu besuchen, einen kultivierten Mann aus Kairo – Zigarette im Elfenbeinhalter, Goldrandbrille auf der Nase –, hochgebildet und stolz darauf, mit tadellosem britischem Englisch, das er an Kolonialschulen gelernt hatte, und in dem immer wieder einmal der Ausdruck old boy vorkam. Er war ein guter Funkoffizier und beherrschte noch mehrere Sprachen bruchstückhaft. Da er stündlich BBC hörte, war er für das Schiff zur wandelnden Zeitung geworden.
    De Haan hatte den ersten Teil der Sendung verpasst, und so brachte ihn Mr. Ali auf den neusten Stand. Die Hauptnachricht berichtete von Kämpfen im Irak, wo britische Truppen Basra und die Ölfelder im Süden besetzt hatten. Das Rashid-Ali-Regime hatte sich mit den Achsenmächten verbündet und hoffte auf deutsche Intervention, doch dem Bericht zufolge konnte nichts den britischen Vormarsch auf Bagdad aufhalten.
    »Und dann«, sagte Mr. Ali, »hat es eine verheerende Bombardierung des guten alten London gegeben. Das Britische Museum, in dem ich schon gewesen bin, und Westminster Abbey.« Dies nebenbei, während der Sprecher über die Flucht von Rudolf Hess, des dritthöchsten Regierungsmitglieds im Reich, nach Schottland berichtete, wo er mit dem Fallschirm abgesprungen sei und ›zur Stunde noch von Regierungsvertretern befragt‹ werde. Der Sprecher brach die Geschichte ziemlich abrupt ab, indem er darauf hinwies, dass weder die BBC noch irgendjemand sonst wisse, was vor sich ging, und kam stattdessen ohne Umschweife zu den ›persönlichen Botschaften‹, verschlüsselten Mitteilungen an Geheimagenten in ganz Europa und Nordafrika:
    »Mr. Johnsons Klasse an der Preston School besucht den Zoo. Mr. Johnsons Klasse an der Preston School besucht den Zoo. Gabriel, Kusine Amelia hat einen Blumenstrauß. Gabriel, Kusine Amelia hat einen Blumenstrauß.« Und so weiter und so fort, indes De Haan und Mr. Ali dasaßen und gebannt den Worten lauschten, die für sie keinerlei Sinn ergaben, es sei denn als Poesie.
    12. Mai,

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