Die Stunde des Wolfs
augenscheinlich unversehrt, unter den Wellen verschwand.
Er nahm eine Schachtel Munition aus der Schublade, zog das Magazin heraus und machte sich daran, die öligen Kugeln in den Ladestreifen zu drücken. Ratter verfügte über die einzige weitere Waffe an Bord – seines Wissens zumindest –, eine .303 Lee-Enfield, die er in einem Spind in seiner Kajüte aufbewahrte. Falls er von einem feindlichen Schiff angegriffen wurde, gab es für einen Frachter nur eine Taktik – auf achtern zu drehen, wo er den meisten Schaden vertrug, ohne zu sinken, und sich möglichst davonzumachen. Dies sowie die Pistole und das Gewehr komplettierten das Verteidigungsaufgebot der Noordendam. Einige britische Handelsschiffe wurden mit Luftabwehrgeschützen und kleinen Kanonen ausgestattet, doch solch martialische Vorkehrungen wären bei einer Noordendam und ihresgleichen, geschweige denn einer Santa Rosa, völlig fehl am Platze gewesen. Mozart dagegen klang zwar kratzig, doch angenehm gegen die Meeresgeräusche, und so wappnete sich De Haan ruhig und besinnlich für den Krieg.
11. Mai, 23.00 Uhr. Vor Mostaganem, Algerien.
De Haan schlief fest, als jemand an sein Schott klopfte.
»Ja? Was gibt's?«
Eine Wache öffnete und sagte, »Mr. Kees lässt ausrichten, Sie möchten auf die Brücke kommen, Herr Kaptän. Sofort.«
De Haan schlüpfte hastig in Hemd und Hose und lief barfuß auf dem nasskalten Niedergang zur Brücke hoch. Kees erwartete ihn auf der Nock.
»Da draußen ist verdammt noch mal irgendwas«, sagte Kees.
De Haan starrte in die regnerische Nacht hinaus und konnte nichts erkennen.
Doch irgendwo draußen – Backbord, achteraus – war das leise Dröhnen eines Motors zu hören.
»Riechen Sie das auch?«, fragte Kees. »Dieselschwaden, und nirgends irgendwelche Umrisse zu erkennen.«
Ein Schiff mit tiefem Wassergang und großen, dieselbetriebenen Maschinen. De Haan fluchte in sich hinein. Dabei konnte es sich nur um ein U-Boot handeln. Das sich unter Wasser verstecken und auch von dort aus kämpfen konnte, vorzugsweise jedoch bei Nacht, bei hoher Geschwindigkeit, an der Oberfläche angriff, wo es sechzehn Knoten statt fünf unter Wasser fahren konnte. Kees und De Haan liefen zum Heck und spähten in die Dunkelheit.
»Er stellt uns nach«, sagte Kees.
»Wir sind ein neutrales Schiff.«
»Vielleicht kümmert ihn das nicht, De Haan, oder er weiß es besser.«
»In dem Fall wird er die Übergabe verlangen, und wenn wir zu entkommen versuchen, verschwendet er keinen Torpedo an uns, sondern versenkt uns mit seinem Geschütz.«
»Und was schlagen Sie vor?« Kees' Stimme schwankte und klang gereizt.
»Wir können uns weigern«, sagte De Haan. »Und bei dem, was danach kommt, unser Bestes tun.« Er hatte diesen Moment tausend Mal in Gedanken durchgespielt, doch jetzt erkannte er, dass er nicht aufgeben würde. Die Anwesenheit eines britischen Kommandos entschuldigte einen solchen Schritt, mehr aber auch nicht. Letzter Befehl, dachte er. Brandbekämpfungstrupp, Notrufsignal, Boote niederlassen, Schiff aufgeben.
Es war ein feiner Nieselregen, fast schon ein Nebelschleier, doch De Haan war bis auf die Haut durchnässt, und das Wasser lief ihm das Gesicht herunter. Eine Minute verstrich, und noch eine, endlos scheinende Minuten, als Kees flüsterte: »Mein Gott«, und dort unten verschwommen eine graue Gestalt in der Dunkelheit hinter dem Lichtkegel der Noordendam erschien. Dann öffnete sich eine Luke auf dem Kommandoturm, über dem der Oberkörper eines Mannes in Umrissen zu erkennen war. Ein Suchscheinwerfer wurde eingeschaltet, und der Strahl schwenkte mehrfach über das Deck. Und dann, über Megafon, ein Befehl, eine italienische Version des üblichen ›Welches Schiff?‹ Ein italienisches U-Boot also. Vielleicht, dachte De Haan, die Leonardo da Vinci – welch subtile Namensgebung –, berüchtigt für ihre Angriffe auf britische Konvois. Der Drohruf wurde wiederholt, und der Offizier, höchstwahrscheinlich der Kapitän selbst, wurde offensichtlich mit jeder Minute ungeduldiger.
De Haan hielt beide Hände wie einen Trichter um den Mund und brüllte, »Santa Rosa, Santa Rosa.« Er wurde von dem Licht geblendet, das ihm ins Gesicht schien. Es schwenkte zu Kees weiter, der die Augen mit der Hand schützte, dann wieder vor zur Brücke. »Gehen Sie und holen Sie Amado rauf«, sagte er zu Kees. »Tun Sie's selbst.« Er sah, dass mehrere Besatzungsmitglieder achtern gekommen waren und in kleinen Gruppen herumliefen.
Weitere Kostenlose Bücher