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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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20.30 Uhr. Vor Cap Bon.
    »Wir drehen um«, wies De Haan den Steuermann an. »Hart backbord, auf 270 Grad gehen.«
    Ruysdaal am Ruder wiederholte den Befehl, und sie setzten zu dem großen Bogen an, der sie auf demselben Weg, den sie gekommen waren, zurückbringen würde – für dieses Fünftausend-Tonnen-Ungetüm in etwa so, als sollte es hin- und hertigern. Seit dem Morgengrauen waren sie mit langsamer Geschwindigkeit gefahren. Die Atmosphäre an Bord war zum Zerreißen gespannt, die halbe Besatzung spähte an Deck in Richtung Küste, um Sims' ›kleinen Mann mit einem kleinen grünen Licht‹ auszumachen. Doch manchmal spielte das Leben solchen kleinen Männern übel mit, und De Haan fragte sich, was Sims tun würde, falls sie vergeblich darauf warteten.
    Auch fragte er sich, ob das Schiff für einen Beobachtungsposten an der Küste ›sichtbar‹ war, wie Sims sich auszudrücken pflegte. In dem Fall würde ihr erneutes Erscheinen nach einer Zwölf-Meilen-Strecke Richtung Osten als ein anderes Schiff registriert werden, welches das erste sozusagen bei Nacht passiert hatte, obwohl die Leute auf Cap Bon nach allem, was De Haan wusste, mit ihrer teuflischen Apparatur ganz genau mitbekommen konnten, was da vor sich ging, und er und seine Männer jeden Moment mit einem ansehnlichen Artilleriefeuer auf der Brücke zu rechnen hatten.
    Warten.
    Die Kommandos wurden inmitten ihrer Ausrüstung an Deck versammelt, wo sie mit geschwärzten Gesichtern dastanden und nur ihre Zigaretten als kleine rote Punkte in der Dunkelheit leuchteten. Der Bootsmann, dessen Crew bereitstand, schritt unentwegt die Reling an der Stelle ab, wo sie Kletternetze über die Seite des Rumpfs gehängt hatten. De Haan war damit beschäftigt, die See zu beobachten, die ruhig blieb. Nur leichter Wellengang, ein glücklicher Umstand für Männer, die über eine Meile in Schlauchbooten paddeln mussten. Der Nordwestwind war derzeit anderweitig beschäftigt, doch De Haan wusste, dass es nicht lange dabei bleiben konnte.
    Ratter war oben am Bug, wo ein Vollmatrose eine Lotleine warf – die Noordendam war so nah an der Küste, wie De Haan es eben wagen konnte, mit einer Sichtweite bei Nieselregen und Neumond von einer Meile oder darunter. Sims wiederum war überall zugleich und machte von dem Luxus Gebrauch, als Kommandant nicht stillsitzen zu müssen.
    21.30 Uhr. 22.30. Vielleicht war es ja doch nicht Cap Bon. Auf der Brücke brummte Sims leise etwas vor sich hin, spähte zum Küstenstreifen hinüber, machte fünf Schritte hin, fünf Schritte her. De Haan hätte gern geholfen, für irgendeine Ablenkung gesorgt, doch es gab nichts zu tun. In letzter Zeit mal in London gewesen? Was haben Sie vor dem Krieg gemacht? Nein, das war schlimmer als Schweigen. Er sah erneut auf die Uhr, stellte fest, dass es immer noch 10.45 Uhr war. Ihm fiel ein, dass er die Kursänderung im Logbuch eintragen sollte, doch das konnte er offensichtlich nicht tun. Er würde den Tageseintrag fälschen, auch wenn ein Logbuch etwas Geheiligtes war und es ihm ganz und gar gegen den Strich ging, Lügen hineinzuschreiben. Seine Gedanken wanderten hierhin, dorthin, zu Arlette, zu dem Mädchen in Liverpool. Und was wurde in diesen Zeiten aus Kapitänen, die ihr Schiff verloren und überlebten? Sie konnten sich, bestenfalls, zu der einen oder anderen Marine melden. Oder ein anderes Handelsschiff übernehmen, um ein neues Schaf zur Schlachtbank zu führen.
    Und dann plötzlich eilige Schritte den Niedergang zur Brücke herauf – einer von Sims' Leuten, der vor Aufregung schwer atmete. »Major Sims, Sir, Smythe sagt, er sieht Licht, und einer der Matrosen auch.«
    Sims räusperte sich und sagte, äußerlich vollkommen ruhig: »Sehr schön.«
    »Viel Glück, Herr Major«, sagte De Haan. »Bis dann.«
    Sims sah ihn einen Moment lang an, bevor er »Danke« sagte, sich umdrehte und dem Kommando zum Schott hinaus folgte.
    Vor der Brücke herrschte verhaltenes Durcheinander, Schatten liefen hin und her, etwas fiel scheppernd aufs Deck, dann wurden die Boote zu Wasser gelassen, und die Kommandos kletterten die Netze hinab, um in die Nacht hinauszupaddeln. »Rechts auf drei fünfzig, Ruysdaal«, sagte De Haan. Und dann zum Ausguck auf der Nock, »Sagen Sie Van Dyck, er soll die Anker werfen. In etwa zehn Minuten.«
    De Haan ging auf die zur Küste gelegene Nock. Gestalten in der Dunkelheit, fast die gesamte Crew stand an der Reling und blickte den Booten hinterher.
    01.15 Uhr. Vor Cap Bon.
    Die

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