Die Stunde des Wolfs
seine Kajüte, griff sich die Browning im Halfter und schnallte sich noch unter der Ölhaut den Gürtel um, während er schon wieder den Niedergang hinaufrannte. An Deck planvolles Getümmel. Das Rettungsboot Nummer vier – mit der Aufschrift Santa Rosa am Bug, wofür er Van Dyck ein stummes Dankeschön schickte – wurde auf seinen Davits herausgeschwenkt, bereit, heruntergelassen zu werden. Von den drei Mann Besatzung war Matrose Scheldt bereits an Bord und legte die Ruder in die Dollen, während Matrose Vandermeer vom Vorderdeck herübergetrottet kam. Der Signalgast stand am Boot und bediente die Jalousie an der Aldislampe, während Ratter gerade von unten erschien, die Enfield in der Hand. »Sie ist geladen«, sagte er zu De Haan. »Acht Schuss im Ladestreifen.« Er reichte ihm noch weitere Ladestreifen, die De Haan sich in die Tasche seiner Ölhaut stopfte. Indessen kam Patapouf, der Küchengehilfe, zum Boot gelaufen. Und jetzt? Kakao?
De Haan packte Ratter am Ärmel, zog ihn zu sich heran und fragte in leisem, angespanntem Ton: »Was zum Teufel hat der hier zu suchen?«
Kees, der nicht weit von ihnen an der Winde stand, bekam alles mit. »Braun hat sich den Knöchel verstaucht«, flüsterte er. »Patapouf steht als sein Ersatzmann auf der Liste.« De Haan grinste, da konnte man nichts machen, und stieg ins Boot.
Das Boot schwankte, als Patapouf über das Dollbord kletterte und, das Kinn mit verletztem französischem Stolz hochgereckt, sich auf der Bank niederließ. Er hatte gesehen, wie sich die Offiziere kabbelten, und wusste, dass es um seine Wenigkeit ging. An De Haan gewandt, sagte er: »Ich hab in der Armee gedient, Herr Kaptän.«
Das Gewehr in der Hand, mit Kurs auf Gott weiß was am Strand, fühlte sich De Haan beschämt, und so nickte er zum Zeichen, dass er ihn verstand. Ratter legte eine Taschenlampe auf den Sitz neben De Haan. »Wenn ihr Hilfe braucht, zweimal kurz, einmal lang.«
»Runterlassen«, sagte Kees, und der Motor der Winde stieß einen Dampfstrahl aus, als diese sich knirschend zu drehen begann.
An den Riemen kämpften Scheldt und Vandermeer gegen den heftigen Seegang, während das Boot auf den Wellen ritt, und obwohl De Haan und Patapouf emsig ausschöpften, stieg das Wasser ihnen bis an die Knöchel. Als sie auf halbem Weg zur Küste waren, begann der Mann am Strand erneut zu signalisieren, womit sie eine Zielposition ein paar hundert Meter von der Stelle hatten, an die sie von der Flut getrieben wurden.
»Soll ich das Signal erwidern, Herr Kaptän?«, fragte Vandermeer. Er war ein zäher Bursche – klein und mager, mit Kampfnarben im Gesicht –, den sie am Dock in Shanghai angeheuert hatten.
»Nein«, sagte De Haan, »wir wissen nicht, wer sonst noch da draußen ist.«
Sobald sie die Küstenlinie erreicht hatten, ging die Fahrt zügig voran. Und schon bald sprangen sie über das Dollbord und zogen das Boot über den Strandkies hoch, dann noch höher ins Dünengras, wo es vor den Fluten sicher war. Es regnete inzwischen stärker, und ihre Ölhäute knatterten im Wind. De Haan nahm die Taschenlampe und reichte Patapouf die Enfield. »Können Sie damit umgehen?«
»Ja, Herr Kaptän, ich denke schon.«
»Was waren Sie bei der Armee?«
»Koch, Herr Kaptän, während des Kriegs, aber sie haben uns das Schießen beigebracht.«
De Haan reichte ihm die zusätzlichen Ladestreifen.
Sie hielten sich Richtung Osten. Zehn Minuten, fünfzehn, zwanzig Minuten lang hörten sie nur ihre Schritte im Muschelsand knirschen. Dann eine Stimme irgendwo über ihnen, auf Englisch, im Dröhnen und Krachen der Brandung kaum auszumachen. »Wer sind Sie, bitte?«
»Vom Boot«, sagte De Haan. »Kapitän De Haan.«
Sie sahen ihn, als er aufstand, eine Sten auf sie gerichtet, dann zur Seite geschwenkt. »Gut, dass Sie kommen. Da oben ist die Hölle los.«
»Wo?«
»Stück landeinwärts.« Er kam zu ihnen und legte sich den Riemen mit der Sten über die Schulter. »Ich bring Sie hin«, sagte er. »Vorausgesetzt, ich finde es wieder. Hätte verdammt nochmal Brotkrumen streuen sollen.« War das Sims' Hauptfeldwebel? De Haan war sich nicht sicher, der Mann hatte die eng anliegende blaue Strickmütze tief in die Stirn gezogen, und er hinkte. »Bin in ein Loch getreten«, sagte er.
»Wer sind Sie?«, fragte De Haan.
»Aldrich. Sergeant Aldrich.«
Sie machten sich den Strand entlang auf den Weg. Nach ein paar Minuten sagte De Haan: »Was ist passiert?«
»Gott – fragen Sie besser, was nicht!«
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