Die Stunde des Wolfs
Sie liefen eine Weile knirschend weiter. »Wir hatten einen Posten und unseren Führer bei den Booten zurückgelassen – ahh, der Himmel, Vorsicht, meine Herren.« Er duckte sich tief und huschte die Düne hoch, über die Kuppe und die andere Seite hinunter, zu einem verschlungenen, steinigen Pfad zwischen Felsbrocken hindurch. »Ein Dieb, dieser verdammte Mistkerl. Ist damit abgehauen, irgendjemand jedenfalls. Oder was weiß ich, wer. Jedenfalls konnten wir Wilkins nicht finden, und wir konnten ihn nicht finden.«
»Und Major Sims?«
»Den konnten wir auch nicht finden.«
Sie trotteten schweigend weiter den Pfad entlang, der sich in eine bizarre Traumlandschaft verwandelte – niedrige Schluchten aus Splitterfelsen, die nass im Regen schimmerten, verkümmerte Bäume und Gestrüpp, ein Gelände, das alle paar Meter zum Lavieren zwang und so gewellt war, dass man angesichts des leeren Horizonts meinte, das Land hätte sich hinter einem geschlossen. »Er hat sich zwei Männer geschnappt«, sagte der Sergeant, »und sie sind losgegangen, um die Flanke einzukreisen, und das war's dann auch. Als wir die Halunken endlich so weit hatten, dass sie sich ergaben, haben wir uns auf die Suche gemacht, aber …« De Haan spürte, dass er den Halt verlor. Er versuchte, sich zu fangen, fiel aber flach auf den Rücken. »Achtung«, sagte der Sergeant – eine komische Bemerkung, nachdem er schon lag. »Mit so einer verdammten Schweinerei hatten wir nicht gerechnet«, fuhr er fort, während De Haan sich aufrappelte. »Sie werden schon sehen.« Als sie weiterliefen, sagte er: »Wir haben nach ihnen gerufen, gepfiffen, Lichtsignale gegeben, aber sie waren einfach, na ja, verschwunden. Kommt gar nicht mal allzu selten vor, wissen Sie, ich war bei den Expeditionsstreitkräften, im Mai 40, oben am Dijle in Belgien, und so was passierte alle naselang.«
Eine Felswand ragte in der Dunkelheit auf. Der Sergeant blieb stehen und sagte, »Mensch, dieser Halunke.« Er verharrte, blickte in beide Richtungen und sagte dann: »Hier geht's nach rechts, nicht wahr. Ja, nach rechts.« Einen schmalen Hohlweg hinunter in ein Felsental, dann wieder einen Steilhang hinauf, eine Art Flintgestein, wo De Haan versuchte, die Hände zu Hilfe zu nehmen, doch es war wie zersplittertes Glas. Wenn man sich hier verirrte, dachte er, würde man die Segel streichen. Wenige Minuten später kamen sie an ein Wadi mit etwa dreißig Zentimeter tiefem Wasser, das mit solcher Wucht floss, dass sie beim Durchwaten Mühe hatten, sich auf den Beinen zu halten. Der Sergeant kämpfte sich die gegenüberliegende Böschung hoch, doch jedes Mal, wenn er Tritt zu fassen versuchte, rieselte ihm der Sand unter den Füßen weg. Im dritten Anlauf schaffte er es schließlich und streckte eine Hand aus, um den Übrigen raufzuhelfen, indem er sagte, »Komm schon, Mabel.«
»Glauben Sie, dass sie in Gefangenschaft geraten sind?«, fragte De Haan.
»Na ja«, erwiderte der Sergeant. »Irgendwo sind sie jedenfalls reingeraten, mehr lässt sich wohl im Moment nicht sagen.«
Endlich eine Schlucht, in der haufenweise graue Lumpen zwischen verknäultem Draht in knöcheltiefem Wasser lagen. Die Überlebenden der ganzen blutigen Schweinerei, wurde De Haan schnell klar, durchnässt und erschöpft, mit einer bemannten Bren an beiden Enden. In der Mitte versuchte der Lieutenant, sich aufzusetzen. »Puh, verdammt froh, Sie zu sehen«, sagte er, ein Lächeln auf dem totenbleichen Gesicht. Ein Hosenbein war abgeschnitten, und er hatte die Hand gegen den Verband gedrückt, den er um den Oberschenkel trug. »Wir können wirklich eine Mitfahrgelegenheit brauchen«, sagte er und entschuldigte sich für die Unannehmlichkeit. Stumm zählte De Haan die Männer in der Schlucht – elf – und stellte fest, dass sie mit einem Boot zurechtkommen würden. Der Lieutenant sah, was er tat, und sagte, »Vier Tote, fünf Vermisste, leider auch der Major, und zwei so schwer verwundet, dass wir sie zurücklassen mussten.«
De Haan wusste, dass sie zwanzig gewesen waren, plus Sims, und dachte, er hätte sich verzählt, bis er einen deutschen Offizier unter den Übrigen entdeckte, der mit hinter dem Rücken verschnürten Händen auf der Seite lag. Neben ihm saß sein Bewacher, einer von diesen blutjungen Soldaten, die wie dreizehn aussahen – verhärmtes Gesicht, wie aus einem viktorianischen Slum, blutbespritzt. Am Grund der Schlucht zerborstene Antennen, Stahlgehäuse mit Skalen und Anzeigen, von denen ein
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