Die Stunde des Wolfs
vorbeiliefen und jemand brüllte, »Schnapp ihn dir, Jimmy.« Noch eine Explosion außerhalb seines Blickfelds, und noch eine, die ein entrüstetes Gebrüll auslöste, als ob jemand einem anderen auf den Fuß getreten wäre. Die Entrüstung endete mit einem dritten, kurzen Knall.
»Sie sind da drüben.«
In der Tat. Keckerndes Blitzen und Rufe auf Französisch und ein Summen wie von tausend Bienen. De Haan richtete die Browning auf das Maschinengewehrfeuer und drückte ab. Patronenhülsen sprangen heraus und flogen ihm an der Wange vorbei, bis es vorüber war. Ein paar Sekunden später Stille. Dann das metallische Schnappen vom Nachladen eines Magazins und die Stimme des Sergeants. »Also los. Bewegt euch.« Eines dieser Genies mit einem unfehlbaren Ortssinn, dachte De Haan, hoffte er, führte sie jetzt einen neuen Pfad entlang.
Eine bizarre Prozession. Der Lieutenant humpelnd auf sein Sten-Gewehr gestützt, während sein Helfer ihn am Ellbogen zog, der deutsche Gefangene – ein stirnglatziger Schreibtischtäter, der blinzelte, als hätte er seine Brille verloren – von seinen zwei Bewachern links und rechts neben ihm vorangetrieben, dahinter ein Mann mit einer Bren in der einen Hand, während er – tief geduckt laufend – mit der anderen den Parabolspiegel mit sich schleifte, der über den rutschigen Felsen hüpfte. Dann folgte De Haan, der versuchte, mit einer Hand den leeren Ladestreifen aus der Browning zu lösen, als er an Patapouf vorbeitrottete, der mit weit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken lag und in den Regen starrte. De Haan kniete neben ihm nieder und fühlte mit zwei Fingern nach seinem Puls. Der Trupp hinter ihm packte eine Hand voll von De Haans Ölhaut und hievte ihn hoch. »Heimgekehrt, Sir, lassen Sie ihn.«
»Patapouf«, sagte De Haan. Dickerchen. Die grenzenlose Idiotie des Ganzen vernebelte ihm die Sicht.
»Ich weiß, Sir. Da ist nichts mehr zu machen.« Ein starker Akzent, hohe Stimmlage, der Teenager mit dem verhärmten Gesicht. »Er hat sich dem Feuer entgegengestellt, wissen Sie, und das sollten Sie nie nicht tun.«
De Haan hob die Enfield und die Gehäuse auf.
Dann rannte er widerstrebend los.
In Admiralsdiensten
20. Mai. Alexandria.
Zimmer 38 im Hotel Cecil an der Ras-el-Tin-Seepromenade.
Demetria. Sie war, sagte sie, Levantinerin griechischer Abstammung, und ihr Haar, ihre Augen und Temperament waren in jeder Hinsicht dunkel. Tagsüber Direktorin einer Schule für junge Frauen, ›sehr mustergültig und adrett, mit Uniform‹. Doch – dabei sah sie ihm mit einem bestimmten Blick in die Augen – so war sie eigentlich nicht. Der Blick wurde eindringlicher. Nicht im mindesten.
Richtig. Vom Alltag und einem steifen Leinenkostüm befreit, die Unterwäsche irgendwo zwischen den verkrumpelten Decken des Hotelbetts vergraben, lag sie nackt und üppig auf dem Rücken, die Beine entspannt gespreizt – so dass sie lässig enthüllte, was die Franzosen rose de dessous zu nennen pflegten, während sie genüsslich rauchte. Schwarze, ovale Zigaretten mit Goldrand und schwerem Parfüm. Träge spielte sie mit dem Rauch, ließ ihn in kleinen Zügen aus dem Mund entweichen, indem sie weiße Kreise zu dem Stuckmedaillon an der Decke schweben ließ. »Ich schäme mich, es zuzugeben«, bekannte sie, »aber ich rauche nur heimlich.«
Sie schämte sich für etwas? De Haan lag ihr zu Füßen, quer übers Bett, auf einen Ellbogen gestützt. »Ich werd's nicht weitersagen«, sagte er.
Ihr Lächeln war zärtlich. »Ich war wirklich ein anständiges Mädchen, weißt du, vor langer, langer Zeit. Dann starb mir mein Mann weg, Gott hab ihn selig, als ich achtunddreißig war.« Sie zuckte die Achseln, atmete aus und zog an ihrer Zigarette. »Diese griechischen Gemeinden, Odessa, Beirut, Kairo, sind ziemlich engstirnig, wenn du einer bestimmten Schicht angehörst. Freizügigkeit ist problematisch. Was in dieser Stadt eigentlich ziemlich seltsam ist – es geht hier sehr ungezwungen zu, für gewisse Leute, aber nicht für jemanden wie mich. Ich hatte schon eine Zeit lang ein paar – Verehrer, sogar eine Heiratsvermittlerin. ›Ach, Demetria, wie für Sie geschaffen, dieser begüterte Herr, vollkommen respektabel, lalala.‹ Nein, nein, nicht mit mir.«
»Nein«, sagte er, »nicht mit dir.«
»Jetzt, wo wir Krieg haben, ist es – Gott vergib mir – besser, du lebst heute Abend, denn morgen bist du tot, aber trotzdem, chéri , war das eben mein erster petit mort seit langem.« Sie
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