Die Stunde des Wolfs
1941
Herr Kapitän De Haan: Da Sie im Hafen sind, Sie könnten mir wohl ein Interview geben? Ich habe 1938 in Rotterdam mit Ihnen gesprochen, für einen Zeitungsartikel. Danke, ich bin im Hotel Alhadar.
Mit den besten Wünschen,
Und dann mit Bleistift unterschrieben, Maria Bromen.
Er konnte sich noch ziemlich gut an sie erinnern, eine russische Schifffahrtsjournalistin, die für Na Wachte, ›Auf Wache‹, schrieb, eine Schifffahrtszeitung, die in Odessa herausgegeben wurde; des Weiteren für Ogonjok , die Wochenzeitschrift; zuweilen auch für die Prawda und ab und an für die europäischen kommunistischen Tageszeitungen. Dies war üblicherweise keine Arbeit für eine Frau, und Bromen war jung, in ihren Dreißigern, doch, wie sich zeigte, zielstrebig und ernsthaft und kannte sich im Seehandel aus. De Haan, dem der Einfluss von Komintern – innerhalb der Seemannsgewerkschaften für Unterwanderung zuständig – nur allzu bewusst war, hätte sich wahrscheinlich gar nicht erst mit ihr getroffen, hätte sie sich nicht irgendwie an Terhoven herangemacht, der De Haan schließlich grünes Licht gab. »Sagen Sie ihr, dass Hyperion ein fortschrittlicher Arbeitgeber ist«, hatte er gesagt. »Uns liegt etwas am Wohlergehen unserer Besatzungen.« De Haan hatte sein Bestes getan. Und sie hatte sich, nach einem recht steifen und peniblen Gesprächsbeginn, im Lauf des Interviews zunehmend entspannt. Schlicht darauf bedacht, ihre Arbeit zu tun, war sie keineswegs der sowjetische Miesepeter, mit dem er gerechnet hatte. Am Ende war De Haan aufrichtig zu ihr, und obgleich er selbst den Artikel nie zu Gesicht bekam, hatte Terhoven ihn sehr wohl gelesen und für ›gar nicht mal so übel‹ befunden.
De Haan blickte von dem Brief auf und sah den rostfleckigen Rumpf seines Schiffs hoch über der Barkasse aufragen. Zuerst Hallowes, dachte er, dann die Deutschen an der Bar Reina Cristina, seine Gespräche mit Hoek und Yacoub, und jetzt das hier. Wieso geht ihr nicht alle zur Hölle und lasst mich über die Meere fahren!
Die Barkasse ließ zwei Signale mit ihrem Horn ertönen, und nach einer Weile wurde die Gangway der Noordendam langsam herabgelassen.
In den folgenden drei Tagen keine besonderen Vorkommnisse. Die Crew wurde gelöhnt und, nach strengsten Mahnungen der Offiziere, gefälligst die Klappe zu halten, an Land geschickt, wo sie wie allgemein üblich auf den Putz hauten und feststellten, dass das Angebot von Tangers Liebesbörse ihre kühnsten Träume übertraf, um schließlich in Zweier- und Dreiergruppen, bleich und besänftigt und verkatert, wieder an Bord zu kommen. Immerhin kehrten sie alle zurück, und De Haan und Ratter blieben Besuche in den örtlichen Gefängnissen erspart. Shtern diagnostizierte bei einem fiebernden Schmierer Malaria, flickte zwei Vollmatrosen nach einer Prügelei in einer Bar wieder zusammen und behandelte den griechischen Soldaten Xanos, nachdem der es fertig gebracht hatte, bei der Wartung des einzigen beheizten Kessels seinen Schuh zu entzünden. »Mich darfst du nicht fragen«, brummte Kovacz, »ich weiß nichts davon.« De Haan nahm sich frei, blieb in seiner Kajüte, las in seinen Büchern, spielte seine Schallplatten und versuchte, die Welt draußen zu halten.
Wo sie auch bis zum Nachmittag des Fünften blieb, als Yacoub mit der Nachricht erschien, Hoek wünsche ihn zu sprechen und warte in seinem Büro. De Haan wusste, was das zu bedeuten hatte, holte noch einmal tief Luft und machte dann ein Eselsohr als Lesezeichen in sein Buch. Da die Barkasse bereits wartete, setzten sie zusammen nach Tanger über.
In Hoeks Büro klapperten die Fenster, da der chergui , der hiesige Wind, scharf aus dem Osten blies. Nach dem üblichen Austausch von Höflichkeiten sagte Hoek: »Also, er ist da. Hat gestern die Villa de France bezogen, Zimmer dreizehn.«
De Haan und Hoek tauschten einen Blick, ließen es aber dabei bewenden.
»Dann also heute Abend«, sagte De Haan.
»Ja. Er wird auf Sie warten. Meiner Quelle im Hotel zufolge ist er jung, Engländer und hat nur eine Aktentasche dabei. Kurz gesagt, er sieht aus wie ein Kurier.«
»Vermutlich wissen die, was sie tun.«
Hoeks Gesichtsausdruck besagte, Kann ich denen nur raten.
»Wo ich schon mal hier bin«, sagte De Haan, »was halten Sie davon?« Er reichte Hoek den Zettel der russischen Journalistin.
»Großer Gott, das hat uns noch gefehlt«, sagte Hoek. »Russen.«
»Könnte das harmlos sein?«
»Kaum. Was hat die hier zu suchen?«
»Die
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