Die Stunde des Wolfs
Hollande. Kennen Sie das?«
»Nein.«
»Dann lernen Sie es jetzt kennen. Vermutlich sollten Sie sich ab dem Abend, an dem er eintrifft, auch dort einmieten, da er um Ihr Schiff einen großen Bogen machen muss – das heißt, Sie beide dürfen überhaupt nicht zusammen gesehen werden. Machen Schiffskapitäne so etwas? Sich ein Hotelzimmer nehmen?«
»Manchmal schon, für einen langen Hafenaufenthalt.«
»Das würde ich tun. Sobald sie mir einen Namen und ein Datum telegrafieren, werde ich mich um die Reservierung kümmern und Ihnen die entsprechenden Informationen zukommen lassen.«
»Telegrafisch?«
»Nein, durch Kurier.«
De Haan ging im Geist noch einmal alle Einzelheiten durch, bevor er sagte: »In Ordnung, klingt, als würde es funktionieren.«
»Ja, meine ich auch. Tut es immer, bis etwas schief geht«, sagte Hoek, den all die Dinge, die unversehens danebengehen konnten, milde zu amüsieren schienen. »Und jetzt, Kaptän De Haan, muss ich darauf bestehen, dass Sie einen Kaffee mit mir trinken.«
»Also, da sag ich nicht Nein«, erwiderte De Haan. Im Moment würde die Arbeit auf der Noordendam ohne ihn weitergehen, und er war noch nie gern im Hafen an Bord gewesen.
Nachdem Hoek seine Sekretärin zum Kaffeeholen geschickt hatte, fragte De Haan nach Neuigkeiten aus der Heimat.
Hoek öffnete eine Schublade und reichte ihm ein langes Blatt Papier. Im Briefkopf stand, in fetten schwarzen Lettern: Je Maintiendrai , ›Ich gebe nicht auf‹, das Motto der holländischen Königlichen Familie. De Haan wusste, was es war – ein Nachrichtenblatt des Widerstands. Drucker hatte es in Holland schon immer zur Genüge gegeben, so dass dieser Aspekt des Widerstands weit verbreitet und solide verankert war. »Kann ich es behalten?«
»Reichen Sie es weiter, wenn Sie es gelesen haben.«
»Wie sind Sie da drangekommen?«
Hoek konnte seinen Stolz nicht verbergen. »Ach, sagen wir mal, es ist irgendwie bis zu mir gedrungen«, antwortete er. »Sie bringen so viel Nachrichten, wie sie eben können, was nicht gerade überwältigend ist. Wir bekommen nicht so viel ab wie die Polen – die Deutschen wünschen sich eine reibungslose Besatzung für die arischen Brüder, der Schafspelz ist also derzeit die Uniform, aber das hindert sie nicht daran, das Land systematisch zu zerstören. Sämtliche Lebensmittel wandern Richtung Osten, und so, wie die Deutschen die Dinge organisiert haben, wandert das Geld gleich mit. Wenn sie Kriege gewinnen, haben sie es schon immer mit dem Motto vae victis – wehe den Besiegten – gehalten. Daran hat sich nichts geändert.«
»Ich mach mir Sorgen um meine Familie«, sagte De Haan. »Es ist sehr schwer, von etwas zu hören und zu wissen, dass man nichts für sie tun kann.«
»Ja, aber ›nichts‹ trifft das, was Sie tun, vielleicht doch nicht so ganz?« Er lehnte sich vor und sprach mit gesenkter Stimme. »Ich muss Sie warnen, Herr Kaptän, Sie müssen in dieser Stadt auf der Hut sein. Ich glaube nämlich, dass sie irgendwie von unserer Existenz Wind bekommen haben. Vielleicht bis jetzt nur hier und da ein paar Gerüchte, irgendein Papier auf irgendeinem Schreibtisch, wobei es natürlich dringlichere Papiere auf diesem Schreibtisch gibt, aber irgendjemand arbeitet daran, und wenn er sich ein Bild gemacht hat, werden sie handeln, und zwar schnell, und dann bleibt keine Zeit für lange Diskussionen.«
»Monate?«
»Vielleicht.«
»Aber nicht Wochen. Oder gar Tage.«
Hoek zuckte die Achseln. Wie soll ich das wissen?
2. Juni. Büro der Hafenverwaltung, Tanger.
In dem Moment, als er Yacoub sah, wusste De Haan, mit wem er es zu tun hatte. Er gehörte einem bestimmten ›Stamm‹ an, der in den Hafenstädten heimisch war, in Penang und Saloniki, Havanna und Dar es Salaam. Es war der Stamm junger Männer aus bescheidenen Verhältnissen, die es, allein mit ihrer Pfiffigkeit, in der Welt zu etwas bringen wollten und sich zu diesem Zweck einen Anzug angeschafft hatten.
Sie trugen ihn rund um die Uhr, tagein, tagaus, und gaben sich, da sie selten der erste stolze Besitzer waren, alle erdenkliche Mühe, ihn gut aussehen zu lassen. Als Nächstes brachten sie sich mithilfe eines alten Buchs oder eines alten Mannes eine Fremdsprache bei, vielleicht auch zwei oder drei, und versäumten keine Gelegenheit, sie anzuwenden. Und dann schließlich lernten sie, passend zum Anzug und zur Sprache, das richtige Lächeln. Wie sehr sie sich freuten, einen zu sehen! Wie sie einem wohl helfen könnten. Wohin
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