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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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unsere Geschichte, aber der Himmel weiß, wie viel Blut wir vergossen haben, um sie von hier fern zu halten. Spanische Armeen, französische Legionen, deutsche Agenten, britische Diplomaten – die seit der Jahrhundertwende uns und einander bekriegen. Und dann schließlich dieser ganz besondere Fluch, die französischen Bürokraten, die so machtverliebt sind, dass sie Vorschriften für Schlangenbeschwörer erlassen.«
    »Das liegt in ihrer Natur«, sagte De Haan. »Niemand weiß eigentlich so recht, warum.«
    »Soviel ich weiß, ist Holland auch eine Kolonialmacht.«
    »Ja, in Ostindien, das ist richtig.«
    »Und Südamerika, nicht wahr?«
    »Da auch – in Niederländisch-Guyana.«
    »Halten Sie das für gerecht, Herr Kapitän?«
    »Es hat vor langer Zeit angefangen, die Welt hat sich inzwischen verändert, es kann nicht ewig dabei bleiben.«
    »Das glauben wir auch, und einige von uns hoffen, dass Großbritannien uns helfen wird, wenn wir ihnen helfen.«
    »Niemand kann in die Zukunft sehen«, sagte De Haan, »aber manchmal werden Versprechen auch gehalten, selbst von Regierungen.«
    »Ja, das soll schon vorgekommen sein.«
    Politik, dachte De Haan. Des Öfteren das Schicksal von Yacoub und seinesgleichen. Da sie sich mit ihren Anzügen und ihren Sprachkenntnissen und ihrem Lächeln, ohne es zu wissen, in perfekte Agenten verwandelt hatten. Sie, die jeden kannten und viel herumkamen, wurden für diesen oder jenen Plan rekrutiert, für die nationale Unabhängigkeit oder für ausländische Ambitionen, man gab ihnen Geld und das Gefühl, wichtig zu sein, um sie allzu oft zu opfern.
    Yacoub schwieg eine Weile, während sie am Club Nautique und an den Lagerhäusern der Schiffslieferanten vorübergingen und auf den Pier zusteuerten, der zum Gebäude der Hafenverwaltung führte. Als sie am Fuß des Piers stehen blieben, sagte er: »Wenn Sie mich wohl zum Büro begleiten wollen, Herr Kapitän, ich glaube, dort liegt Post für Sie bereit.«
    Auf der Hafenbarkasse, die ihn zur Noordendam eine Meile vor der Küste übersetzte, hatte De Haan Zeit, zwei Briefe zu lesen und zu bedenken. Der erste enthielt die Kopie eines Bankschecks von der Barclay's-Bankfiliale Tanger, den sie telegrafisch von ihrer Londoner Zentrale empfangen hatten. Der Scheck, ausgestellt von der Hyperion-Lijn mit Londoner Adresse, war möglicherweise als Antwort auf seine frühere telegrafische Meldung an Terhoven zu verstehen, in der er ihn von dem veränderten Dienstverhältnis unterrichtet hatte. Der hohe Betrag, eine Zahl, die De Haan nicht zum ersten Mal sah, reichte aus, um aufzutanken, Vorräte einzukaufen und die Besatzung auszuzahlen.
    Crews wurden traditionellerweise am Ende einer Seereise gelöhnt – früher einmal in Rotterdam, doch die Zeiten waren vorbei, und so hatte Terhoven ihr Anlaufen in einem marokkanischen Hafen als Ersatz gewählt. Was hatte es sonst noch zu bedeuten? Er überlegte. Sein nächstes, vorläufiges Reiseziel bis zum Eintreffen des Kuriers war ein noch nicht genannter Ostseehafen, doch wie's aussah, würde er – abgesehen von den geheimen Apparaturen – in Ballast fahren, und so wäre es nur logisch, wenn er dort Fracht aufnehmen und zum nächsten unbekannten Bestimmungsort bringen würde.
    Doch da die Crew jetzt bezahlt werden sollte, würde es wohl nicht ihr neuer Heimathafen sein – vermutlich London, möglicherweise auch Liverpool oder Glasgow. Irgendwo mussten sie hin, sobald ihr Auftrag erledigt war, doch Hallowes hatte sich da bedeckt gehalten und nur gesagt, es sollte die letzte Reise der Santa Rosa sein. Er hatte doch nicht sagen wollen, es sei die letzte Fahrt der Noordendam? Nein, das würden sie nicht tun. Seit sich Großbritannien im festen Griff der U-Boot-Blockade befand, war es auf jedes noch seetüchtige Handelsschiff angewiesen. Sagte sich De Haan.
    Auf dem zweiten Umschlag war keine Marke. Er war an Kapitän E. M. de Haan, NV Noordendam adressiert und in einer der unteren Ecken mit Durch Kurier gekennzeichnet. Dieses Schreiben war getippt, auf einer alten tragbaren Schreibmaschine, wie es schien, die ein schweres Leben hinter sich hatte – das Farbband hatte kaum noch Tinte, die Oberseite des ›a‹ war abgebrochen, und das ›t‹ hatte seinen unteren Bogen eingebüßt. Innen ein Blatt billiges liniertes Papier, nicht gefaltet, sondern sehr sorgfältig abgerissen, die andere Hälfte für den späteren Gebrauch aufbewahrt. Geschrieben auf Englisch – die russische Version.
    1. Juni

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