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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Schifffahrtslinien, Barnes brachte an diesem Tag eine Ladung türkisches Salz an den Mann, auch wenn es sich als schwierig erwies, ein verfügbares Trampschiff zu finden. »Wie wär's mit der Santa Rosa?«, schlug Barnes vor. »Soviel ich gehört habe, ist sie im Mittelmeer.«
    »Wünschte, es wäre so«, sagte Burton.
    »Wo ist sie denn?«
    »Sie ist hin, fürchte ich.«
    »Tatsächlich.«
    »Ja, bis zur Wasserlinie abgebrannt, in Campeche.«
    »Bist du sicher?«
    »Leider ja.«
    »Was du nicht sagst.«
    » Mhm . Vor ein paar Tagen. Wollte nach einer Reparatur gerade wieder auslaufen.«
    »Campeche, sagst du?«
    »Ja. Falls du zwei Wochen warten kannst, krieg ich vielleicht die Almería .«
    »Wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.«
    Wirklich seltsam, dachte Barnes. Er verfolgte Schifffahrtsnachrichten mit größter Aufmerksamkeit, und er hatte im Börsensaal gehört, dass die Santa Rosa Alexandria angelaufen hatte. Und der Tipp kam von ganz weit oben, von einem der alten Hasen in der Baltic, einem angegrauten, vollbärtigen Schotten, im letzten Krieg zweimal dekoriert, ein Mann, der überall, ob im Osten oder Westen, seine Quellen hatte, ein Mann, der sich nie irrte. Doch das behielt er für sich, der Börsensaal war nicht der Ort, wo man seinen Kollegen widersprach.
    Dennoch ließ ihm die Sache, als er in sein Büro zurücklief, keine Ruhe. Auf seinem Weg die St. Mary Axe entlang, wo von der Witwen- und Waisen-Versicherungsanstalt nur noch eine ausgebombte Hülse übrig war, wurde er schmerzlich daran erinnert, dass man das Jahr 41 schrieb und die Tage der Geisterschiffe der fernen Vergangenheit angehörten. Das gab's nur noch in Jugendromanen, Seltsame Geschichten von der See, wo ein Klipper gesehen ward, der auf Nimmerwiedersehen in eine Nebelbank fuhr – und zehn Jahre später wieder auftauchte. Nein, jemand hatte sich einfach geirrt, sehr geirrt. Nur, wer?
    Zurück im Büro, erzählte er die Geschichte seiner Sekretärin. »Ergibt einfach keinen Sinn«, sagte er. »Burton schien wirklich zu wissen, wovon er sprach.«
    »Vielleicht gibt es zwei«, sagte sie. »Wie auch immer, wieso holen Sie nicht eine zweite Auskunft ein?«
    Und ob er das tun würde! Und noch am selben Nachmittag telegrafierte er an einen alten Freund, der eine Handelsgesellschaft in Alexandria unterhielt.
    Die Antwort hatte er am nächsten Tag auf dem Tisch. Sein Freund hatte sich im Hafen umgehört und erfahren, dass der spanische Frachter Santa Rosa tatsächlich vor einer Woche eingelaufen war. Sein Mann bei den Schiffslieferanten konnte sich an die Farben erinnern, also sahen sie in Browns Flags and Funnels nach – kein Zweifel, es war die Santa Rosa.
    Das war in etwa der Moment, als Barnes ein Licht aufging. Irgendeine Schwindelei. Vielleicht irgendetwas mit Versicherungen – die Welt der Schifffahrt hatte ihre schwarzen Schafe, und nicht zu knapp – oder sogar ein Schwindel von Staats wegen. Wirklich? Wieso nicht? Verdammt einfallsreich, dachte er und ließ es dabei bewenden. Um welche Regierung es sich in diesem Fall handeln mochte, ob Freund oder Feind oder irgendwas dazwischen, konnte er nicht sagen, doch letztendlich war er ein Mann der Fracht und nicht der Schiffe, und es war nicht ratsam, solche Dinge weiterzuverfolgen.
    Und obwohl die Lauscher im deutschen B-Dienst das in Klartext verfasste Telegramm transkribierten und eine entsprechende Meldung zu den Akten nahmen, wäre es dabei geblieben. Kaum eine Meldung von Interesse – wen kümmerte es schon, ob die Briten ein spanisches Trampschiff gechartert hatten? Niemand hätte sich weiter darum gekümmert, hätte nicht ein Mann des deutschen Nachrichtendienstes in Alexandria gemeldet, dass die Santa Rosa eingelaufen, aber nie ausgelaufen sei. Das war nun wirklich interessant. Wo war sie dann? Oder besser gesagt, wer war sie dann?
    De Haan erwachte bei Morgengrauen um sechs Uhr früh. Die Spatzen lärmten bereits im Hof, doch ansonsten war es angenehm still im Hotel. Inzwischen wusste er die Order des Nachrichtendienstes auswendig und hatte sie in allen Einzelheiten erwogen – die Daten, die Örtlichkeiten, die Seemeilen von einem Hafen zum nächsten – und war zu dem Schluss gekommen, dass es knapp, aber machbar war. Alles würde so funktionieren, wie sie es geplant hatten, vorausgesetzt, dass es funktionierte. Zugegeben, sie hatten ihm ein bisschen Zeit für Pannen oder das Wetter gelassen, aber verdammt wenig – der Unterschied zwischen Royal Navy und

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