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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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war über ihm, konnte auch zwei und zwei zusammenzählen. Und dann hab ich sie eines Tages in Madrid gesehen, und der einzige Freund, den ich hatte, wollte nicht mehr mit mir reden. Es war die zweite Woche im Mai, und ich bin wieder weggerannt. Nach Albacete . Da hatte ich nur sehr wenig Geld. Ich hatte Uhr verkauft, Füllhalter, kyrillische Schreibmaschine. Ich habe von Flüchtlingen, von Juden, gelernt, wie das geht. Das war seltsam, wie ich sie fand. Wenn man wegläuft, man geht in die Innenstadt, und dann in ein Viertel, wo man sich sicher fühlt, und da sie sind auf einmal, sie haben dasselbe gemacht, haben dasselbe Versteck gefunden. Nicht bei Reichen, bei Armen, aber nicht zu arm, damit man nicht dazugehört. Und dann man sieht sie, auf den Märkten, in den Cafés. Gespenster. Und du selber, du bist auch ein Gespenst, weil das Selbst, das man hatte, ist weg. Man erkennt sich also gegenseitig, und man geht zu ihnen hin, und sie helfen einem, wenn sie können. Aber ich glaube, das wissen Sie alles, Herr Kapitän, oder nicht?«
    »Ich hab das alles auf meinem Schiff«, sagte De Haan. »Auf anderen Schiffen wird es ähnlich sein – wir sind schließlich ein Teil dieser Welt. Die meisten meiner Männer können nicht nach Hause. Vielleicht ihr ganzes Leben nicht mehr.«
    »Und Sie?«
    »Auch nicht. Nicht, solange Krieg ist.«
    Der Junge kam mit einem Teller in Öl gebackener, mit Puderzucker bestäubter Kringel zurück. Er stellte ihn auf den Tisch, und De Haan gab ihm noch ein paar Dirhems – zu viele offenbar, denn der Junge bekam große Augen und bedankte sich auf zuvorkommendste Weise.
    Die beignets waren ganz frisch gebacken, noch warm, und rochen sehr gut. »Ich sehe jeden Morgen – sie tragen sie auf einem Palmblatt durch die Straßen.« Sie aß sie behutsam, indem sie sich über die Tischplatte lehnte.
    »Sind sie gut?«
    Sie nickte begeistert. Er probierte auch einen, sie hatte Recht. »Entschuldigen Sie«, sagte sie und leckte sich den Zucker von den Fingern.
    »Also«, sagte De Haan, »dann sind Sie nach Tanger gekommen.«
    »Der Traum aller Flüchtlinge, Nordafrika. Von da man kommt überallhin, mit einer Menge Geld. Man kann sogar arbeiten. In Spanien ist es schwer, nach dem Krieg, den sie gehabt haben, die Leute sind arm, sehr arm, und die Polizei ist schrecklich. Bin ich also hierher gekommen, meine letzte Hoffnung, vor einer Woche. Kein Geld, nichts mehr zu verkaufen, nur Pass. Ich hab manchmal gestohlen, kleine Sachen – ein paar von den Flüchtlingen sind gut darin, aber ich nicht.«
    »Ich werde Ihnen helfen, Miss Bromen. Lassen Sie mich zumindest so viel für Sie tun.«
    »Sie sind freundlich«, sagte sie. »Das habe ich in Rotterdam gewusst, aber ich fürchte, es ist schon zu spät dafür.«
    »Wieso zu spät?«
    »Sie haben mich gesehen, erkannt, aber keine günstige Stelle für sie. Auf der breiten Straße, die aus Grand Socco kommt, sie waren im Auto, in die andere Richtung, und als sie anhielten, war ich schon in eine kleine Straße gelaufen und hab mich in einem Gebäude versteckt.«
    »Wie können Sie sicher sein, dass sie es waren?«
    »Sie waren es. Wenn man einmal mit ihnen zu tun gehabt hat, erkennt man sie.«
    De Haan ertappte sich bei dem Gedanken an die Deutschen in der Reina Cristina .
    »Sie haben mich gesehen, Kapitän De Haan, sie haben mit dem Auto angehalten. Das war alles, was ich gesehen habe, ich habe nicht gewartet, vielleicht habe ich mich ja geirrt. Aber nächstes Mal vielleicht, wenn ich sie nicht sehe. Und dann, nun ja, Sie wissen. Was passiert mit Leuten wie mir.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Wirklich? Sie werden mich nicht töten, nicht gleich«, sagte sie. Sie wollte mehr sagen, zögerte jedoch, vielleicht, weil es ihr widerstrebte, die Worte auszusprechen, die ihr auf der Zunge lagen und die sie dann doch aussprach, in einem fast stimmlosen Flüsterton. »Sie werden mich erniedrigen«, sagte sie.
    Werden sie nicht. De Haan lehnte sich vor und sagte: »Lassen Sie mich Ihnen etwas in puncto Geld erklären, Miss Bromen, über Schiffskapitäne und Geld. Sie besitzen es, aber sie haben, abgesehen von dem, was sie ihren Familien geben, kaum Verwendung dafür. Nur im Hafen. Da kann man sich wie ein Matrose besaufen – natürlich hab ich das auch schon getan –, aber diese bescheidenen Vergnügen sind nicht allzu kostspielig. Dies nur, um Ihnen zu erklären, dass ich Ihnen Ihre Freiheit erkaufen will, Sie können mir sagen, was sie kostet, und es wird mir eine

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