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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Handelsmarine war nicht zu übersehen. Dennoch konnten sie es, mit Kovacz' und Neptuns Gnaden, schaffen.
    Mussten sie es schaffen.
    Denn sie hatten nicht die übliche Spanne von drei Tagen, um Kontakt aufzunehmen – das war auf die Stunde genau geplant. Was nicht anders möglich war, da dies ein kühner, ein unverschämt dreister Einsatz war. Die schwedische Südküste, zumal die kahlen Strände der Bucht von Smyge, war nur hundert Meilen von den deutschen Marinestützpunkten in Kiel und Rostock entfernt, und er musste jederzeit mit Patrouillen aus der Luft oder zu Wasser rechnen, und so gab es für die Noordendam – alias Santa Rosa oder was auch immer – im Ernstfall kein Vor und Zurück. Lieber Gott, dachte er, lass Nebel sein.
    Er sah auf seine Armbanduhr auf dem Nachttisch, 5 Uhr 10. In weniger als vierundzwanzig Stunden also ging es los. Besser so, da blieb ihm nicht viel Zeit zum Grübeln. Die Noordendam selbst war so startklar, wie's nur ging – voll getankt und reichlich mit Proviant versorgt, die Frischwassertanks aufgefüllt, mit einem neuen Sanitätsoffizier und, nach dem überstandenen Angriff, einer Crew Veteranen an Bord.
    Also schleunigst zum Hafen hinunter, mit der Barkasse zum Schiff und Tanger, lebe wohl – winkende Mädchen im Hafen. Ein Mädchen, das nicht winken würde, war die russische Journalistin, und dafür war er dankbar. Da er ihretwegen beunruhigt gewesen war. Etwas stimmte nicht mit diesem Brief, sagte ihm eine innere Stimme. Was hatte sie wirklich hierher verschlagen? Natürlich hatte er noch ein bisschen Zeit, vielleicht den Vormittag, wo er tun konnte, was er wollte – ein seltenes Vergnügen. Aber dafür nun wirklich nicht. Mit dafür war dieser sowjetische Blödsinn gemeint. Was halten Sie von der Weltlage? Würden Sie für Frieden und Gerechtigkeit arbeiten? Vielleicht bleiben Sie mit uns im Gespräch. Brauchen Sie Geld? Nein, bei all den Details, um die er sich noch zu kümmern hatte, konnte er so etwas nicht gebrauchen. Obwohl er ihr, wenn er ehrlich war, attestieren musste, dass sie sich bei der letzten Begegnung vollkommen korrekt verhalten hatte. So geradlinig, wie es nur ging. Von slawischer Ernsthaftigkeit. Und was sonst?
    6. Juni, 08.20 Uhr. Hotel Alhadar.
    Schwer zu finden in der Seitengasse einer Seitengasse, trostlos, schmutzig, billig. Der Concierge saß hinter einem Drahtgitter, Sorgenperlen in einer Hand, eine Zigarette in der anderen, und unter seinem Fez mit Quaste ein böswilliger Blick – Wer zum Teufel sind denn Sie? »Sie ist nicht da«, sagte er.
    De Haan fühlte sich für dumm verkauft und trat, über sich selbst verärgert, den Rückzug an. Und da erschien sie plötzlich, wie von Zauberhand, und holte ihn trotz seines eiligen Schrittes ein Stück die Gasse hinunter ein. »Kapitän De Haan«, sagte sie außer Atem. »Ich hab Sie ins Hotel gehen sehen.«
    »Ach so«, sagte er. »Nun ja, guten Morgen.«
    »Gehen wir hier rein«, sagte sie. Ein paar Stufen führten in ein winziges Kaffeehaus hinunter, das dunkel und wie ausgestorben war. De Haan zögerte, es gefiel ihm nicht.
    »Bitte«, sagte sie. »Ich muss von der Straße runter.«
    Was? Er folgte ihr nach drinnen, sie setzten sich, ein Junge kam an ihren Tisch, und De Haan bestellte zwei Kaffee. »Ich hatte gehofft, dass Sie kommen«, sagte sie. Es war nicht nur eine höfliche Floskel, sie meinte es ernst.
    Ihm gegenüber an dem kleinen Tisch sah sie genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte, auch wenn ihm bewusst wurde, dass sie jetzt älter war. Niemand würde sie wohl als hübsch bezeichnen, dachte er. Aber man sah sie an. Eine breite, energische Stirn, hohe Wangenknochen, die Augenfarbe ein strenges, fast abweisendes Grün, ein kleiner, leicht nach unten gebogener Mund, auf Ärger oder Enttäuschung gefasst, kräftiges, blassbraunes, fast rauchfarbenes Haar, über die Stirn frisiert und am Hinterkopf hochgesteckt. Sie steckte in einem hellgrauen Kostüm zur dunkelgrauen Bluse mit breitem Kragen – unförmig und schlaff vom zu langen Tragen – und hatte eine schwere Lederhandtasche über die Schulter gehängt. Doch was am deutlichsten haften blieb, war ein preiswerter, sehr starker Duft, die Sorte, die man benutzt, wenn man keine Gelegenheit zum Waschen hat.
    Er zog seine Packung North States heraus und bot ihr eine an. »Danke, gern«, sagte sie. Selbst im Dämmerlicht des Kellercafés konnte er die Schatten unter ihren Augen sehen, und es entging ihm auch nicht, wie ihre Hand

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