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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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zitterte, als sie den Zigarillo an sein Streichholz hielt.
    »Soll es ein Interview geben?«, fragte er.
    »Wenn Sie möchten.« Einen Moment lang presste sie die Lippen zusammen und wandte sich plötzlich ab.
    »Miss Bromen«, sagte er.
    »Einen Moment, bitte.«
    Sie konzentrierte sich ein paar Sekunden lang und strich sich dann das Haar aus der Stirn. »Ich hab gelesen, dass Ihr Schiff in Tanger ist, und ich konnte mich an den Namen erinnern. Ich konnte mich an Sie erinnern.«
    »Ja? Von Rotterdam?«
    »Ja, von Rotterdam.«
    Er wollte sie ausreden lassen, doch sie nahm einen tiefen Zug an ihrer North State und sagte nur: »Es ist schwer, keine Zigaretten zu haben.«
    Schweigen. Schließlich sagte De Haan: »Sie schreiben Artikel? Hier in Tanger?«
    Sie schüttelte langsam den Kopf.
    »Also …«
    Der Kaffee kam, stark und schwarz, in winzigen Tassen, mit einer Dose braunem Kandiszucker. Sie ließ ein Stück in ihre Tasse fallen und rührte, bis er sich auflöste, wollte ein zweites Stück nehmen, ließ es aber sein. »Ich bin auf der Flucht«, sagte sie eher in beiläufigem als melodramatischem Ton. »Es ist nicht leicht. Haben Sie das schon mal gemacht?«
    »Nein«, sagte er. Dann, mit einem Lächeln: »Bis jetzt noch nicht.«
    »Sollten Sie auch besser bleiben lassen.«
    »Da haben Sie sicher Recht.«
    »Sie müssen mich von hier wegbringen, Herr Kapitän, mit Ihrem Schiff.«
    »Ja«, sagte er. Als sich ihr Gesichtsausdruck änderte, fügte er hastig hinzu: »Ich meine, verstehe. Natürlich ist es mir nicht möglich, das zu tun.«
    Sie nickte – sie wusste es ganz genau.
    »Das verstehen Sie sicher«, sagte er.
    »Ja, ich weiß.« Sie schwieg und sprach dann leise weiter. »Gibt es irgendetwas, etwas, das ich tun könnte? Egal was.«
    »Also …«
    »Ich würde arbeiten. Auf russischen Schiffen gibt Frauen, die arbeiten.«
    »In Holland auch manchmal, auf Schlepp- und Lastkähnen. Aber die Noordendam ist ein Frachter, Miss Bromen.«
    Sie kam mit allen möglichen Vorschlägen, Gegenargumenten und gab irgendwann auf, wie er ihr vom Gesicht ablas. Dann sagte sie: »Gibt es hier vielleicht etwas zu essen?«
    Das zumindest konnte er für sie tun. Er winkte den Jungen heran und fragte ihn.
    »Beignets?«, fragte der Junge. »Da ist eine Bäckerei in der Nähe.«
    Als De Haan in die Tasche griff, um zu bezahlen, fragte er sich, wie viel er bei sich hatte. Recht viel, wie sich zeigte, und natürlich würde er es ihr geben. Als der Junge ging, sagte er: »Miss Bromen, was ist denn passiert? Können Sie darüber reden?«
    »Ich laufe vor der Organji davon«, sagte sie mit einem bitteren Lächeln – was sonst? Das russische Wort stand für die Organe der Staatssicherheit, die Geheimpolizei. »Es ist ein Spiel, das man in meinem Beruf mitspielen muss. Sie wollen einen benutzen, weil man Journalist ist und weil Journalisten mit Ausländern reden.«
    »Dann haben Sie für die gearbeitet?«
    »Nein, nicht direkt. Sie haben mich aufgefordert, bestimmte Dinge für sie zu tun, ich hab gesagt, ich würde es machen, aber ich hab mich nicht geschickt angestellt, ich war nicht – klug genug. Ich habe mich ihnen nicht widersetzt, das kann man nicht, aber ich war einfach dumm, ungeschickt – das versteht jeder Russe. Und so ich wurde nie wichtig, habe nie mit wichtigen Leuten gesprochen, weil sie dann … Und war auch besser, dass ich eine Frau bin, schwach, obwohl sie wollten, dass ich mit Männern mitgehe. Dann habe ich ihnen gesagt, ich bin Jungfrau, habe ich fast geweint. Aber sie haben mich nie in Ruhe gelassen, bis Säuberung von 1938, dann war einer weg, anderer kam, dann war er auch weg. Aber blieb nicht dabei, und eines Tages in Barcelona kommt der Falsche für mich. Er hat nicht geglaubt, ich bin dumm, hat Tränen nicht geglaubt oder sonst irgendwas. Er hat gesagt, Sie werden das tun, und er hat mir gesagt, was passiert, wenn ich nicht tue. Er konnte eins und eins zusammenzählen. Da bin ich weggelaufen. Habe alles aufgegeben, was ich hatte, bin in den Zug nach Madrid gestiegen. Frankreich wäre besser gewesen, aber ich habe nicht klar gedacht. Ich hatte Angst – Sie wissen, wie das ist? Ich war am Ende meines Mutes.«
    Bei der Erinnerung schwieg sie und trank den letzten Kaffee aus. »Aber sie haben mich nicht gejagt, nicht direkt. Ich glaube, vielleicht wollte der schlechte Mann in Barcelona nicht sagen, hat nicht gemeldet, was passiert ist, aber später dann musste er es tun, wahrscheinlich, weil noch jemand

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