Die Stunde des Wolfs
starke Strömung an Fahrt eingebüßt hatten.
»Ihre Fracht ist im Schuppen am Kai. Ich soll Sie reinlassen und Ihnen das hier geben.« Er hatte die gefälschte Frachtliste auf seinem Schreibtisch und händigte sie ihm augenblicklich aus, offenbar froh, sie los zu sein. »Sie sind nicht das, was ich erwartet hatte«, sagte er.
»Was hatten Sie denn erwartet?«
Penha zuckte die Achseln. »Seeräuber – so etwas in der Richtung.« Er benutzte das französische Wort, boucanier , das zumindest bei De Haan seltsam romantische Assoziationen weckte.
»Kapitän eines holländischen Frachters, weiter nichts.«
Penha zündete sich eine Zigarette an. »Normalerweise tue ich so was nicht.«
»Nein, davon bin ich überzeugt«, sagte De Haan. »Und noch vor einem Monat hätte ich dasselbe gesagt. Und vor einem Jahr nahm das Leben in meinem Land seinen ganz normalen Gang, aber jetzt ist alles anders.«
Dem Ausdruck in Penhas Gesicht nach kein hinlänglicher Grund. »Das hier ist eine Tätigkeit, bei der Ehre etwas zählt – Vertrauen, persönliches Vertrauen ist das entscheidende Kapital. Das ist meine Unterschrift auf dem Papier, das Sie da in der Hand halten.«
Soll ich mich entschuldigen? Penha handelte nicht aus Überzeugung, wurde ihm klar, sondern war offenbar zu dieser Sache gezwungen worden. »Es gibt keinerlei Pläne, das irgendjemandem zu zeigen, Senhor Penha«, sagte er. »Es ist eine Art Rückversicherung – und wird wahrscheinlich ein Geheimnis bleiben.«
»Ein Geheimnis? Sind Sie sicher?«
»Ja, ich denke schon.«
»Weil ich mir da nämlich gar nicht so sicher wäre.«
De Haan brauchte einen Moment, bis er fragte: »Wieso nicht?«
Langes Schweigen. Nur die Geräusche von der Straße vor dem Büro, während Penha um eine Entscheidung rang – soll ich es sagen oder besser nicht –, bis die Vorsicht siegte. Schließlich sagte er: »Ich habe meine Gründe.«
De Haan ließ ihm Zeit, es sich zu überlegen, doch die Schlacht war geschlagen. »Ich sollte auf mein Schiff zurück«, sagte er, während er aufstand, um zu gehen.
»Sie müssen noch heute Abend laden«, sagte Penha. »Und ich soll dabei sein.« Falls Sie nicht sagen, das sei nicht nötig.
»Ist neun zu früh?«
»Nein, in Ordnung.«
»Ich muss so schnell wie möglich auslaufen.«
»Ja«, sagte Penha. »Das sollten Sie.«
Zum Pier am Ende der Rua do Faro brauchte er eine Viertelstunde zu Fuß. Nichts Besonderes an dieser Strecke durch das Geschäftsviertel hinter dem Hafen – auf dem Hinweg, ganz anders allerdings auf dem Weg zurück. Denn woran Penha auch krankte, erwies sich als ansteckender Bazillus. Zum Beispiel der Mann, der müßig vor dem Schaufenster in der Ecke der Rua do Comercio stand. Oder das Paar, das über den Fluss schaute und das ihm einen Blick zuwarf, als er vorüberging. Und der Peugeot, der auf der Straßenseite des Frachtschuppens am Bordstein parkte, dort wo Lastwagen den Pier hinunterfahren durften. Hinter dem Lenkrad ein fülliger Mann im mittleren Alter, der Pfeife rauchte und, quer übers Lenkrad ausgebreitet, eine Zeitung las. Er kam De Haan besonders zufrieden vor, mit sich und der Welt im Reinen, als könne man sich keine bessere Art vorstellen, Zeitung zu lesen, als in seinem parkenden Auto neben einem Frachtschuppen am Kai. Als De Haan auf gleicher Höhe mit dem Auto war, sah der Mann auf, starrte De Haan ein paar Sekunden lang an und kurbelte dann das Fenster herunter. »Captain De Haan?«
»Ja?«
Der Mann lehnte sich über den Sitz, öffnete die Beifahrertür und sagte: »Können Sie sich wohl einen Moment zu mir setzen?«
Was sollte das werden? Als De Haan zögerte, fügte der Mann »Bitte?« hinzu. Nicht die höfliche Variante, etwas darunter. Der Mann schob sich wieder die Pfeife zwischen die Zähne und wartete geduldig. Schließlich ging De Haan vorn um den Wagen herum und stieg ein. Ein süßlicher Rauch erfüllte das elegante Wageninnere mit weichen Ledersitzen. »Bin Ihnen sehr verbunden«, sagte der Mann. »Ist es hilfreich – wenn ich den Namen Hallowes erwähne?«
»Ja, ich denke schon.«
»Ich heiße Brown«, sagte der Mann. »Ich arbeite bei der Botschaft hier in Lissabon.«
»Für den Marineattaché?«
» Mmm , nein, eigentlich nicht. Aber was ich mache, unterscheidet sich nicht allzu sehr von dem, was Ihr Freund Hallowes macht. Selbe Kirche, andere Bank.«
»Er hat Sie gebeten, mich anzusprechen?«
»Oh nein, das hat er nicht. Aber letztendlich sind wir alle auf derselben
Weitere Kostenlose Bücher