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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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folgte eine Übersetzung und einiger Lacherfolg. Mr. Ali fasste die jüngsten BBC-Meldungen zusammen, und die Kommentare dazu hielten sie bis zum Dessert beschäftigt. Noch mehr dankbar entgegengenommene Orangen, dann ging Ratter wieder auf die Brücke, um Kees abzulösen, und die Übrigen kehrten in ihre Kajüten zurück. De Haan und Maria Bromen waren die Letzten im Korridor und standen vor ihren Schotten.
    »Dann also gute Nacht«, sagte er.
    »Ja«, sagte sie. »Schlafen Sie gut.«
    Claudine à Paris? De Haan stand unschlüssig vor seiner Bibliothek und las einen Abschnitt zur Probe. Inzwischen hatte er lange atlantische Roller unter den Füßen, das Schiff brauchte seine Zeit die Welle hinauf, und die Maschine stampfte, bevor sie wieder ins Tal hinunterglitten.
    14. Juni, 06.45 Uhr.
    RAF-Luftraum heute. Falls alles nach Plan gegangen war, hatten sie im Morgengrauen 50° nördlicher Breite überquert. Das Logbuch schien davon auszugehen, auch wenn er sich so lange nicht sicher war, bis Ratter die Höhen der Mittagssonne schoss. So etwas wie eine Grenze bei 50° N, während Frankreich nach Süden hin entschwand, dann Steuerbord querab der Ärmelkanal, und die Noordendam wechselte den Kurs und machte einen großen Bogen um die Minenfelder, die die Schifffahrtswege westlich der Britischen Inseln versperrten. Auch um die Lichter des neutralen Irland, einen sicheren Hort. Besser, wenn sie die gar nicht erst sehen konnten, dachte er. Natürlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, Bromen dort abzusetzen, bevor sie über Großbritannien in feindliche Gewässer weiterfuhren, doch sie hatten weder Zeit, einen Hafen anzulaufen, noch konnten sie sie in einem Beiboot sich selbst überlassen und im Übrigen auch nicht auf eins ihrer Beiboote verzichten.
    Also musste sie an Bord bleiben. Als sein Passagier. Natürlich hatte er auf mehr gehofft, doch diese Hoffnung hatte in seinem Innern einen Gipfel erklommen und war dann auf der anderen Seite heruntergepurzelt, und so blieb dieses mitternächtliche Klopfen an das mitternächtliche Schott in seiner Phantasie verschlossen. Weil sie Nein sagen würde. In sanftem Ton zweifellos, aber er wollte dieses Nein auf keinen Fall hören. Und sie so in seiner Nähe zu haben, machte es noch viel schlimmer. Nähe. Eine der großen Gaukeleien der Begierde, nicht wahr? Bürotrennwand, Wohnungsmauer, Schott – man würde sich nun mal nicht in einen Geist verwandeln und auf die andere Seite schweben, doch der Gedanke war verlockend.
    Eine Runde an Deck. Er wies den Steuermann an, auf Kurs zu bleiben, und verließ die Brücke. Der Seegang war über Nacht heftiger geworden, so dass der Schnabel der Noordendam durch mächtige Brecher pflügen musste und die Gischt hoch über den Bug spritzte und kleine Dampfwölkchen bildete, wo sie auf das Deck traf. De Haan stand reglos da. Das konnte nicht sein, war es, wie er genau wusste, aber doch. Er trottete nach vorn und kniete sich hin, so dass ihm die salzige Gischt in den Augen brannte, und drückte eine Hand an die Eisenfläche. Dann lief er zur Brücke.
    Bei dem Sirenengeheul waren im Nu beide Feuerlöschtrupps zur Stelle und rannten zu ihren Schläuchen, darüber hinaus auch Ratter und Kees. Indem er gegen die Sirene anbrüllte, teilte er ihnen mit, wo es war. Ratter war zuerst da, wickelte seinen Hemdzipfel um die Hand und drehte das Rad, mit dem die Luke zum Laderaum Nummer eins geöffnet wurde. Als er den Lukendeckel zurückschlug, quoll grauer Rauch herauf. »Bringt einen Schlauch hier rüber!«, brüllte Kees. Ein Vollmatrose stieß mit einer Düse in die Öffnung, und De Haan musste ihn packen, als er den Hebel zurückzog und der Hochdruckstrahl in den Schlauch schoss, so dass er heftig ausschlug und ihn beinahe in den Laderaum schleuderte. »Geben Sie die mir«, sagte De Haan, und Kees reichte ihm die Taschenlampe. Doch als er sich auf den Bauch legte und in die Dunkelheit hinuntersah, erkannte er nichts weiter als eine hin und her ziehende Rauchwolke.
    »Was zum Teufel ist da los?«, fragte Ratter.
    Keine Antwort. Frachtraumbrände wurden von explosiven Selbstentzündungen ausgelöst, sei es von Staub oder Schwelbrand in feuchtem Fasergewebe. »Da ist Munition in diesen Kisten«, sagte Kees. »Oder Schlimmeres. Das sprengt uns alle in die Luft.«
    Ratter setzte einen Fuß auf die erste der gefährlichen Stufen – Eisensprossen, die in den Frachtraum hinunterführten. Es waren annähernd zehn Meter und drei Stockwerke bis zum Kiel, Matrosen

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