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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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jemand von der Crew«, sagte De Haan. »Oder er war schon da, als wir ihn verladen haben.«
    »Mit eingeschaltetem Anlasser?«, fragte Kovacz zurück.
    »Wenn er am Dock nicht ansprang und niemand nachgesehen hat …«, sagte De Haan. Es hatte schon seltsamere Dinge gegeben, das wussten sie alle, und Frachtraumbrände waren nicht selten mysteriös. »Jedenfalls haben sie ja noch zwei davon«, sagte er. »Hoffen wir mal, das reicht. Johannes, ich möchte, dass du einen Rundgang durchs Schiff machst – die Farbenlast, Ecken und Winkel, du weißt schon.«
    Ratter nickte. »Und was sagen wir der Mannschaft?«
    »Ölverschmierte Lappen.«
    20.10 Uhr. Vor der irischen Küste.
    Inzwischen richtiges Atlantikwetter, sinkende Temperaturen, vielleicht ein Sturmsystem oben im Norden. Kolb erschien nicht zum Abendessen, doch bei einer solchen See konnte das Stampfen und Schlingern des Schiffs Passagiere gut und gern in ihren Kajüten festhalten. »Schlimm für Sie?«, fragte De Haan Maria Bromen, als sie vom Tisch aufstanden.
    »Das macht mir nichts aus.«
    »Gehen Sie an Deck hoch und gucken Sie auf den Horizont, wenn Sie müssen.«
    »Ja, mach ich«, sagte sie. Und dann: »Können Sie mir vielleicht sagen, wo wir sind?«
    Als sie vor dem Kartenraum standen, schloss er das Schott auf, machte Licht und breitete auf der schrägen Oberfläche der Schränkchen eine Karte aus. Sie stand nahe bei ihm, er roch Seife. Gute Seife, nichts, was sie an Bord benutzten. »Wir sind ungefähr hier«, sagte er und zeigte auf einen Punkt.
    »Morgen demnach hier?«
    »Bei dem Seegang nicht. Wir können von Glück sagen, wenn wir auf die Höhe der Donegal Bay kommen.«
    »Müssen Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein?«
    »Ja, aber in unserem Geschäft plant man vorsichtshalber einen Tag mehr ein. Immer, wenn man kann.«
    »Und Sie dürfen mir nicht sagen, wo es hingeht.«
    »Ich sollte nicht«, sagte De Haan und kam sich dabei etwas albern vor.
    »Wem sollte ich es wohl weitersagen? Einem Wal?«
    De Haan lächelte und schob die Karte wieder in ihre Schublade. »Mögen Sie keine Überraschungen?«
    »Na ja, einige schon. Diese hier, ich weiß nicht.«
    Er knipste das Licht aus und hielt ihr das Schott auf. Wieder standen sie vor ihren Kajütenschotten und sagten gute Nacht. De Haans war schon halb zu, als sie sagte: »Hätten Sie vielleicht …«
    Er kam wieder heraus. »Ja?«
    »Ein Buch, das ich lesen könnte?«
    »Kommen Sie und sehen Sie selbst, ob was dabei ist, das Ihnen gefällt.«
    Er machte hinter ihr zu, wollte sich schon auf die Koje setzen, lehnte sich dann aber gegen das Schott, während sie seine Bibliothek durchging.
    »Holländisch, französisch, wieder holländisch«, sagte sie enttäuscht.
    »Ein paar sind auf Englisch – lesen Sie keine englischen Bücher?«
    »Harte Arbeit für mich, mit Wörterbuch. Was ist das hier?«
    »Was?«
    »Das hier.«
    Er ging zum Bücherregal hinüber. Sie hatte den Finger auf einer holländischen Geschichte über Seekriege des achtzehnten Jahrhunderts. »Ich kann mir nicht denken …«, sagte er.
    Als sie sich umdrehte, war ihr Gesicht seinem ganz nahe, und sie hatte die Augen fast geschlossen. Dieser missmutige Mund. Trocken, aber warm und extravagant und sehr weich. Und zart – sie berührten sich kaum. Sie zog den Kopf zurück und leckte sich über die Lippen. Diesmal nicht so trocken. Eine Weile standen sie, die Arme an den Seiten, voreinander, dann legte er ihr die Hände auf die Hüften, und sie kam näher, eben so viel, dass er die Spitzen ihrer Brüste unter dem Pullover spüren konnte. An seinem Ohr stockte ihr der Atem, als sie sagte: »Mach das Licht aus.«
    Er ging auf die andere Seite der Kajüte und zog an dem Lampenkettchen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, doch als er sich wieder umdrehte, war sie eine weiße Gestalt in der Dunkelheit, nur noch mit einem Schlüpfer bekleidet – lang und weit, fast wie eine Pluderhose. Ohne sich zu rühren, wartete sie, bis er sich ausgezogen hatte, und sagte: »Zieh du ihn mir aus.« Er tat es so langsam er konnte, bis er auf dem Boden kniete und jeden Fuß anhob, um ihn freizubekommen. Sie hatte ihn gern da unten und umarmte ihn für einen Moment, kräftig, die Arme um seinen Hals geschlungen, ließ dann los und lief zum Bett.
    Wo es ziemlich direkt wurde, anfänglich zumindest, doch das änderte sich.
    Die Noordendam knarrte und ächzte durch die nächtliche See. Viel besser als ein Zimmer, dachte er, die raue

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