Die Stunde des Wolfs
Decke eng um sie beide geschlungen, sie beide eng umeinander geschlungen.
»Sie brachten sie in Rangun an Bord«, sagte er. »Das letzte Stück Fracht, ein großes hölzernes Fass. Ein armer Engländer, sagten sie, Kolonialverwalter, der in die Heimat überführt werden sollte, um im Familiengrab beigesetzt zu werden. Sie hatten das Fass mit Brandy gefüllt, man konnte es riechen, um die Leiche zu konservieren. Also haben wir es in den Laderaum geschafft, aber im Südchinesischen Meer gerieten wir in ein ziemlich schlimmes Unwetter, das Ding bekam ein Loch ab und fing an auszulaufen. Na ja, wir konnten es nicht einfach so lassen, bei hochsommerlichen Temperaturen, also haben wir es aufgemacht, und da steckte er, in seinem weißen Tropenanzug, mitsamt ein paar wasserdichten Metallkisten, bis oben voll mit Opium.«
»Was habt ihr damit gemacht?«
»Über Bord geworfen.«
»Und mit ihm?«
»Haben ihm ein neues Fass besorgt, ein altes Farbfass, und mit Terpentin gefüllt.«
»Ich bin in Sewastopol aufgewachsen«, sagte sie. »Ich bin also Ukrainerin, Marija Bromenko. ›Maria Bromen‹ kam später. Ich dachte, für westliche Journale vielleicht besser. So viel Ehrgeiz hatte ich. Meine Eltern setzten große Hoffnungen in mich – mein Vater hatte einen kleinen Laden im Hafen; Tabak, Briefmarken, alles Mögliche. Für mich wollte er Ausbildung, nicht so leicht, aber wir schafften. Wir schafften, wir schafften, wir schafften – besser als die meisten. Immer hatten wir etwas auf dem Tisch – Kartoffeln in schlechten Zeiten, Kartoffelpfannkuchen in den guten, wie man sehen kann.«
»Was sehen?«
»Ich bin unten schwer, oben nicht so, eine Kartoffel.«
Er strich ihr mit den Fingern über den Rücken. »Hm, eigentlich nicht wie eine Kartoffel.«
»Ich weiß, dass du so denkst. Ich wusste, was du denkst, als ich dich das erste Mal traf.«
»Das war zu sehen?«
»Für eine Frau, wir merken so etwas. Aber trotzdem, ich war nun einmal so, wie ich war, jedenfalls keine Ballerina, und ich hasste den Gedanken, eine von den vielen Lehrerinnen zu werden. Also Journalistin. Ging ich also an die Universität, in Moskau, für ein Jahr, aber 1919, du weißt, der Bürgerkrieg, manchmal fielen die Vorlesungen aus, oder man musste marschieren. Und man musste das Richtige sagen, weil sie einen nach den anderen Studenten fragten, wer ein Spion ist, und immer diese Provokationen – ›Hassen Sie nicht diesen Halunken Lenin?‹ Und ich war müde davon, konnte nicht länger ertragen und ich hatte Angst, und ich dachte, vielleicht besser gehe ich heim nach Sewastopol. Ich glaube, ich hatte da schon eine Vorahnung, dass ich mal mit diesen Leuten Schwierigkeiten bekomme.
Aber mein lieber Vater hat nicht aufgegeben, hat mir Stelle besorgt bei einem kleinen Blatt, das wir dort hatten, Nachrichten aus dem Hafen und von den Schiffen. Ich habe hart gearbeitet und dann ich fand irgendwann eine gute Geschichte, über die Leutnant Boni, einen französischen Minensucher, der Truppen nach Odessa brachte, und den Kapitän, einen von diesen französischen Abenteurern, die Romane schreiben. Claude Farrère hieß der Mann, ein Ganove, aber interessant. Dieser Beitrag brachte mich zur Na Wachte, wo ich am Anfang habe aus der Frauenperspektive geschrieben. Was essen Sie an Bord Ihres Schiffs? Vermissen Sie auf See Ihre Liebste? Kleine Geschichten, ein bisschen mit Herz. Wie Babel, wenn auch nicht so gut, eher wie Serebin vielleicht. Bei uns nennt man das Feuilletons. Man musste immer einen Schuss Kommunismus dazugeben – das Essen ist besser als unter dem Zar, ich vermisse meine Liebste, aber ich arbeite, um den Sozialismus aufzubauen. Wir alle haben gemacht, man lernte, wie das ging, damit die Kommissare nichts sagen konnten.« Sie gähnte und räkelte sich.
»Es wird spät«, sagte sie. »Du musst bald arbeiten, nicht?«
»Nicht vor Mitternacht.«
»Muss dich müde machen, in zwei Teilen zu schlafen.«
»Man gewöhnt sich dran.«
»Trotzdem sollte ich dich schlafen lassen.«
»Ich hab noch das ganze Leben zum Schlafen.«
Als sie schwiegen, konnten sie den Wind im Bullauge seufzen und den Regen aufs Deck prasseln hören. »Es ist ein Unwetter draußen«, sagte sie.
»Nicht allzu schlimm, nur Ozeanwetter.«
Sie gähnte wieder und drehte und wendete sich, bis sie bequem lag. »Möchtest du mich ein bisschen berühren?«
»Ja.«
15. Juni, 18.10 Uhr. Vor Glasgow.
De Haan war im Kartenraum, als er das Flugzeug hörte, das Heulen eines
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