Die Stunde des Wolfs
kleinen Motors, das über sie zog und verebbte, dann wiederkam. Er rannte zur Nock hoch, wo ein kleiner Doppeldecker in einem bewölkten Himmel im großen Bogen kreiste. Ein Zweisitzer, irgendein Aufklärungsflugzeug, das er nicht wiedererkannte, mit britischen Kennzeichen am Rumpf. Kees öffnete das Brückenschott und sagte: »Er hat uns Zeichen gegeben.«
»Wie?«
»Aus dem Fenster gewinkt und aufs Vorderdeck gezeigt.«
Das Flugzeug flog so langsam über die Brücke, dass De Haan dachte, es müsste jeden Moment stehen bleiben. Der Pilot hielt etwas aus dem Fenster, stieß über das Vorderdeck herab, ließ den Gegenstand auf den Lukendeckel fallen und winkte ihnen im Wegflug noch einmal zu.
De Haan und der Wachmatrose gingen hinüber und hoben die Segeltuchtasche mit Reißverschluss auf. Sie enthielt ein Stück Kapok, das sie bei einer Wasserlandung vor dem Untergehen bewahrt hätte, und einen Stapel Papiere in einem Plastikumschlag.
De Haan nahm ihn mit zur Brücke. »Was ist das?«, fragte Kees.
Er war sich nicht sicher. Getippte Anweisungen, mit unterstrichenen Kurs- und Positionsangaben und Routen zwischen Feldern, die in Rotstift mit winzigen Kreuzchen gekennzeichnet waren. Nach einer Weile sagte er: »Minenfelder. Im Skagerrak. Es ist sehr präzise.«
»Und auf dem neuesten Stand«, bemerkte Kees.
»Sieht so aus.«
»Also streng geheim. Nicht mal für den Funkverkehr.«
»Nein, ich denke mal, sie wollen für sich behalten, dass sie das hier haben.«
Kees studierte die Karten und sagte dann mit einem verkniffenen Lächeln: »Wissen Sie, könnte nur sein, dass ich meine Wette verliere.«
»Ich denke, das kann passieren«, sagte De Haan. »Damit kommen wir ein gutes Stück hinter Sechs-Ost.«
»Das heißt aber nicht, dass ich jetzt schon zahle.«
»Nein, das würde ich auch noch nicht.«
De Haan berief eine Besprechung der höheren Offiziere für acht Uhr ein, und Ratter, Kees und Kovacz trafen sich mit ihm in der Messe. Er schickte Cornelius, der gerade nach dem Abendessen in der Messe sauber machte, nach unten und breitete die Minenfeldkarten und Routen auf dem Tisch aus.
»Ich frage mich«, sagte Ratter, »wie wir das machen würden, wenn wir wirklich ein spanisches Frachtschiff wären.«
»Über Funk, sobald wir erst mal in der Nordsee wären. Das ist nur eine Vermutung, aber ich glaube kaum, dass die deutsche Kriegsmarine solche Karten verteilt – jedenfalls nicht an Neutrale.«
»Gibt eh nicht viele«, sagte Kees. »Nur ein paar Blockadebrecher. Die werden nicht durchgelotst, oder?«
»Glaube nicht. Es herrscht recht viel Verkehr da oben, wenn man erst mal an der norwegischen Küste vorbei ist – Schweden mit Eisenerz nach Deutschland runter, Norweger und Dänen, die alle möglichen Güter verschiffen. Und egal, wie die es anstellen, werden wir mittendrin sein, einer von vielen Frachtern.«
»Erkennungssignale?«, wollte Kovacz wissen.
»Gott, will ich nicht hoffen. Davor hätten die Briten uns doch wohl gewarnt. Könnten sie das überhaupt? Bei jedem argentinischen und portugiesischen Trampschiff, das in die Ostsee einfährt?«
Kovacz zuckte die Achseln. »Kommen sowieso kaum welche rein, wie Kees schon sagte. Die britische Blockade funktioniert vielleicht besser gegen Deutschland – die dagegen sind auf Schweden, Russland, die Balkanstaaten angewiesen.«
»Deswegen hat Adolf ja auch immer so ein Theater gemacht«, sagte Ratter. »Die Geografie.«
»Nazi-Lügen, Johannes«, sagte Kovacz. »Es ist immer nur um den Wehrwillen gegangen, bis heute geht's um nichts anderes.« Um den Wunsch und Willen, Krieg zu führen. Auf die Ellbogen gestützt und in die Karten vertieft, sagte Ratter: »Die brauchen diese Fracht, nicht wahr? Ich meine, dringend.«
»Will ich doch hoffen«, antwortete De Haan.
»Und ob sie die brauchen«, sagte Kovacz. »Für U-Boote. Für, ehm, wie heißt das noch, Kennsignale. Die Briten haben überall Peilantennen – auf Island, Neufundland, Gibraltar, Kapstadt, sonst wo, seht euch nur eine Karte an und überlegt euch mal, wie das läuft. Also bekommen sie sämtliche Signale und Standorte auf ihre Karten und versenken vielleicht auch mal das eine oder andere feindliche Schiff, aber diese Station in Schweden ist für U-Boote. In Kiel und Rostock gebaut, dann in der Ostsee getestet und weiterentwickelt. Jeder Funker ist anders, hat sein eigenes Kennsignal, wie er den Übertragungsschlüssel benutzt, so dass man sich, wenn man ihn erst erkannt hat, ausrechnen
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