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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: blazon
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ich war.«
    Inu strahlte sie an. »Ah! Sie kann zwar nicht Danke sagen, aber wenigstens eine Entschuldigung bringt sie heraus!«
    Amber ärgerte sich, weil sie rot wurde. »Was für eine Arbeit ist das denn nun?«
    »Eine, die Kraft erfordert. Kannst du rudern?«
    »Natürlich!« Sie hoffte, das klang überzeugend genug. Gerudert hatte sie tatsächlich einmal – wenn auch nur auf einem der spiegelglatten Bergseen am Gebirgspass. Und es war ein stabiler Lastkahn und kein schaukelndes Ruderboot gewesen.
    »Gut! Dann los – gleich geht die Sonne auf.«
    Amber zögerte nur kurz, doch dann wagte sie zum ersten Mal, seit sie geflohen war, sich einfach auf etwas einzulassen. Und vielleicht hatte das Misstrauen ja dieses eine – oder erste – Mal unrecht? Sie ergriff Inus Hand und ließ sich hochziehen.
     
    *
     
    Mit klopfendem Herzen folgte Amber dem jungen Seiler durch das Gassengewirr, bis sie zur Straße kamen, die zum größten Platz von Dantar führte. Es war gespenstisch: Als sie vor zwei Tagen in die Stadt gekommen war, hatte es hier noch vor Leuten gewimmelt. Händler boten Angelhaken aller Art an, Netzflicker diskutierten mit den Händlern am Straßenrand, auf Eseln und Pferden wurden Handelsgüter zum Hafen transportiert. Heute aber war die Straße leer wie in einer Geisterstadt. Von einigen Dächern blickten ihnen schattenhafte Gestalten hinterher, deren rote Augen glühten wie Laternen. Amber fröstelte bei ihrem Anblick. Hallgespenster. Die gab es auch in den Bergen, und Amber hasste diese irregeleiteten Geister, die die Ziegen verschreckten, aus vollem Herzen. Wo Tod, Streit und Unglück waren, tauchten sie auf, gierig nach dem Leid, immer auf der Suche nach Klagen und Gesprächen, die sie sich zu eigen machen konnten.
    »Nach jedem Sturm sind es mehr.« Inu deutete auf ein Haus, an dessen Dach ganze Trauben der Schatten hingen. »Sie werden langsam zu einer richtigen Plage.«
    »Sie werden langsam zu einer richtigen Plage«, wiederholte ein Hallgespenst mit Inus Stimme. Amber sah sich um und entdeckte ein Hallgespenst, das ihnen am Rand der Straße nachschlich. Die Züge sahen aus wie verbrannt und verwittert, die Augen glühten rot, dennoch konnte man noch erkennen, dass das Hallgespenst zu Lebzeiten eine hagere Frau gewesen war. Was mochte sie davon abgehalten haben, nach ihrem Tod über die lichte Grenze zu gehen? Eine Rache vielleicht? Oder eine Schuld. Amber wandte rasch den Blick ab.
    »Beachte sie einfach nicht«, sagte Inu und das Geschöpf wiederholte die Worte wie ein Echo.
    Dort, wo weiße Trauertücher aus den Fenstern hingen, scharten sich ganze Schwärme der Gespenster an den Fenstern. Beim Gedanken daran, dass gestern, während sie den Naj bewundert hatte, Menschen gestorben waren, wurde Amber traurig.
    Ein ertrunkener Esel lag mitten auf der Straße. Über ihm kreisten einige der grauen Küstenvögel. Verendete Welse säumten den Weg, den Inu nun einschlug – zum großen Platz mitten in der Stadt, wo das Haus des Fischerkönigs stand.
    Waren die Straßen eben gespenstisch leer gewesen, betraten Inu und Amber nun einen großen Paradeplatz, auf dem es vor Leuten wimmelte wie in einem Netz voller Köderfische. An der Stirnseite des Platzes erhob sich ein mehrstöckiges weißes Gebäude mit einem von Säulen geschmückten Balkon. Alle Fenster und Türen standen weit offen. Ohne Unterschied von Rang und Reichtum strömten die Leute hinein.
    Amber sah sich um. Sie erkannte die Fischer und die Händler. Es waren Navigatoren da, erkennbar an den köcherförmigen Lederhülsen auf ihren Rücken, in denen sie ihre Instrumente verstaut hatten. Inu winkte einer Gruppe von Seilern zu. Wie Inu trugen auch sie kunstvoll geflochtenes Haar und breite Gürtel, an denen Haken und Seile hingen. Am faszinierendsten fand Amber jedoch die Gruppe von Tauchern, die neben der Tür diskutierten. Ihre sonnenverbrannte Haut war eingeölt und glänzte. Alle trugen sie eng anliegende Kleidung aus elastischer Fischhaut, die einen Blick auf ihre muskulösen Beine erlaubte. Ihr Haar war von Salz und Sonne gebleicht. Wie die Seiler hatten sie ebenfalls Gürtel, aber daran hingen keine Haken, sondern Bänder mit geschliffenen Augenschalen. Amber hatte gehört, dass sie damit unter Wasser sehen konnten, als würden sie durch ein Fenster blicken. Netzbeutel und Harpunen vervollständigten das Bild. Ganz besonders interessant war jedoch der Schmuck: Die Korallentaucher trugen Halsketten aus den schönsten Stücken. Die

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