Die Suche nach dem Regenbogen
Hochzeit heimgefahren ist?«
»Nein, viel schlimmer. Ich habe einen Bericht von de Longueville bekommen. Demzufolge war er in England der Liebhaber der Königin. König Henri hat wohl Angst, daß unser König nicht den heißersehnten Erben zeugen kann. Den Sohn, mit dem die Engländer uns den Thron stehlen wollen. Dazu schickt er diesen Suffoke, als ›Kämpe‹ für England verkleidet, zum großen Krönungsturnier. ›Kämpe‹, daß ich nicht lache! Dieser Kämpe und Hengst soll unseren geliebten François um das bringen, was ihm zusteht.« Louise lehnte sich in die Kissen des Bettes zurück, in dem sie sich »ausruhte«, war aber voll bekleidet und in ihrer üblichen schwarzen Witwentracht.
Marguerite stand besorgt an ihrem Bett. »Diese Engländer… die kennen keinerlei Skrupel. Dieser Wolsey, dieser Intrigant!«
Louise setzte sich jählings kerzengerade auf, und ihre Stimme klang grimmig. »Hör zu, meine Tochter. Weder du noch Claude, noch die Baronin, keine von Euch darf die Königin auch nur einen Augenblick allein lassen. Das gilt besonders, wenn dieser Suffoke endlich eintrifft. Er darf keine Gelegenheit haben, dem französischen Thron einen englischen Erben zu machen.« Sie packte ihre Tochter mit kräftigen Fingern am Arm, zog sie näher heran und redete ruhig und ingrimmig auf sie ein. »Schärfe Claude ein, daß es ihre Pflicht ist, ihre Pflicht Frankreich und ihren eigenen Kindern gegenüber, Kindern, die sie durch ihre Unaufmerksamkeit, ihr Unvermögen, argwöhnisch und wachsam zu sein, um den Thron bringen kann. Überzeuge dich, daß sie dich verstanden hat und das Geheimnis nicht in einem schwachen Augenblick gegenüber der falschen Person ausplaudert. Ich verlasse mich auf dich. Sie darf keinen Augenblick allein sein, wenn du deinen Bruder liebst.«
»Ja, Mutter, keinen Augenblick allein«, sagte die Herzogin von Alençon, verabschiedete sich von ihrer Mutter und kehrte in die große Galerie zurück, wo die Königin, Claude und ihre Damen die Zeit bis zu dem großen Mittagsmahl totschlugen.
An jedem Ende der Galerie flackerten und rauchten Kohlepfannen und vertrieben die kühle Feuchtigkeit. Üppige Arazzi, gerahmte Gobelins, waren einen Fuß von der Wand entfernt aufgestellt und wehrten die Kälte ab, die von den steinernen Wänden ausstrahlte. Gleichwohl waren die schweren Seiden und Brokate der Damen mit Pelz gefüttert, und ihr kunstvoller, juwelengeschmückter Kopfputz und die Kapuzen dienten einem doppelten Zweck, nämlich Wärme zu spenden und Pracht zu entfalten. Die Königin spielte mit Lady Grey und der Baronin Karten, während Mistress Anne Boleyn, deren reizendes Französisch soviel Anklang fand und die so gefällige Manieren am Hofe der holländischen Regentin gelernt hatte, den französischen Damen, die beim Spielen zuschauten, das komische englische Spiel erklärte. Claude hatte sich dafür eingesetzt, daß das Mädchen bleiben durfte, weil es so wohlerzogen war, daß man es kaum als Engländerin bezeichnen konnte.
Claude selbst spielte nicht mit. In der Regel machten sie Karten ganz wirr und neue Kartenspiele noch mehr. Außerdem bekam sie Kopfweh von dem ausländischen Akzent. Sie saß also in einiger Entfernung auf einer gepolsterten Bank, und eine Gesellschafterin las ihr aus einem frommen Andachtsbuch vor. Sie hielt das Gesicht so eigenartig still, daß Marguerite sofort wußte, warum. Eine junge Frau in schwarzer Witwentracht saß auf einem Schemel vor einer kleinen dreibeinigen Staffelei und einem Tisch mit säuberlich aufgereihten Muschelschalen, hatte sich einen schwarzen Seidenkittel über ihr Kleid gezogen und malte mit unvorstellbar winzigen Pinselchen. Obschon ihre Botschaft wichtig war, blieb Marguerite stehen. Ein flüchtiges Lächeln huschte um ihren wohlgeformten Mund, und die klugen Augen über der langen Nase blitzten auf – sie hatte das Porträt sofort erkannt.
Das kleine Quadrat aus Pergament, kaum größer als eine Kinderhand, das auf das Zeichenbrett geheftet und mit hellem Inkarnat vorgrundiert war, verriet die ganze Geschichte auf einen Blick. Die Malerin hatte mit den letzten Pinselstrichen die verschwommenen, rötlichen Konturen von Claudes Bildnis fertiggestellt. Und jetzt trug die Künstlerin mit faszinierender Genauigkeit Farbe mit so winzigen Strichen auf, daß sie für das Auge fast unsichtbar blieben. Zartes Blauviolett mischte sich mit dem Fleischton, und schon entstand aus den Abtönungen das kleine Gesicht. Eine Spur Schwarz, und Claude
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