Die Suche nach dem Regenbogen
hatte dunkle Augenbrauen, dunkle Nasenlöcher und einen Schatten zwischen den Lippen. War es überhaupt Schwarz? Die Farben waren so raffiniert gemischt, daß Marguerite die Grundfarben kaum erriet. Wenn sie auf die Zeichnung aufgetragen wurden, zeigten sie das menschliche Gesicht in seiner wahren Farbgebung, und das kaum größer als ein Männerdaumen. Marguerite sah zu. Claudes unansehnliches Gesicht, aufgedunsen und schieläugig, blickte sie an, wie sie leibte und lebte. Gleichwohl hatte die Malerin irgendwie ihre Schlichtheit und ihre Neigung zu ernster Frömmigkeit eingefangen. Marguerite war erst gerührt, dann staunte sie über eine Begabung, die ihr Mitgefühl wecken konnte. Ich würde mich auch gern im Bild sehen, dachte sie. Eher spirituell. Vielleicht im Gebet.
Während die Künstlerin den ersten Farbauftrag auf dem Gesicht trocknen ließ, malte sie das Vorderteil von Claudes Kleid und dann ihre aufwendigen Ärmel und ihren Kopfputz. Für Marguerite stand eindeutig fest: Das hier war die Malerin der Miniatur, die Frau aus der Gespenstergeschichte, die im Troß der englischen Königin herübergekommen war. Dann hatte sie also doch keinen Liebhaber. Sie hatte die Miniatur eigenhändig gemalt und sie als Arbeit ihres Mannes ausgegeben, um das Honorar zu bekommen. Warum hatte sie ihre Verkleidung aufgegeben? Marguerite, die viel für Geschichten übrig hatte, zögerte einen Augenblick und wollte eine der verbliebenen englischen Gesellschafterinnen zum Dolmetschen herbeirufen, um die Malerin zu befragen. Nein, dachte sie. Später. Meine Angelegenheit kann nicht warten.
»Madame, ich muß Euch allein sprechen. Schickt Eure Vorleserin fort.« Claude, bemüht, ihre Kopfhaltung beizubehalten, willigte ein, und die Dame klappte das Buch zu, verneigte sich anmutig und zog sich zurück. Die Künstlerin malte unverdrossen weiter. Zweifellos versteht sie kein Französisch, dachte Marguerite. Dennoch senkte sie die Stimme. »Madame, Mutter ist eingetroffen und bringt schlechte Nachrichten. Man munkelt, daß der englische König den früheren Liebhaber der Königin, den Duc de Suffoke, geschickt hat, um sie zu schwängern, falls es der König nicht schafft. Seine Ernennung zum Botschafter ist nur ein Vorwand. Das Bündnis mit Frankreich ist nicht seine wichtigste Aufgabe. Mutter ermahnt Euch, daß Ihr die Königin unter keinen Umständen allein laßt, vor allem nicht mit diesem Suffoke, wie auch immer Eure Ausrede lautet, sonst tragt Ihr zur Enterbung Eurer ungeborenen Kinder bei.«
Die Malerin arbeitete weiter, als schenkte sie dem Drama, das neben ihr offengelegt wurde, keinerlei Beachtung. Claudes Mund formte die Worte »Enterbung Eurer ungeborenen Kinder« nach wie ein schwieriges mathematisches Problem. Als sie ein Weilchen nachgedacht hatte, sagte sie verlegen: »Ihr meint, der englische König hat einen Mann geschickt, der eine so große Sünde begehen soll? Ehebruch? Entehrung? Und sie willigt ein? Oh, diese elenden Engländer! Sie sind zu allem fähig!«
Selbst bei diesem Ausbruch arbeitete die Malerin unentwegt weiter, ihre Augen ließen keinen Augenblick von dem winzigen Bild ab. Sie malte Claudes goldfarbenes Mieder in klarem Ocker, dem sie zerstoßenes Gummiarabikum und etwas Zucker beigegeben hatte. Geschickt vermischte sie die Abtönfarbe aus Ochsengalle auf ihrer kleinen Perlmuttpalette mit Gummilösung, dann trug sie flink ein paar zierliche Pinselstriche am Rand der Form auf, und schon wirkte diese gerundet. »Ihr dürft jedoch niemandem davon erzählen, außer der Baronin d'Aumont«, sagte Marguerite. »Nur sie ist vertrauenswürdig. Die Königin darf nichts von unserem Argwohn erfahren, sonst täuscht sie uns. Denkt daran, es geschieht Euren künftigen Kindern und auch Eurem Herrn zuliebe.«
»Meinem Herrn zuliebe tue ich alles«, sagte Claude und vergaß ganz, den Kopf stillzuhalten. Die Künstlerin wusch jetzt ihre Pinsel in einem Eimer mit Wasser aus. Wie interessant, dachte Marguerite, die eine bedeutende Schirmherrin der Künste war. Farben auf Wasserbasis. Und ich habe sie für Ölfarben gehalten – sie wirken so satt – und gedacht, nur weil sie so wenig davon verwendet, riecht es nicht unangenehm. Jetzt packte die Künstlerin ihre Pinsel ein. Der Kasten war innen säuberlich geordnet, hatte kleine Fächer mit geheimnisvollen Gegenständen, kleinen Gefäßen und seltsamen Dingen, die in farbbekleckstes Leinen gewickelt waren. Claude bedeutete ihr mit der Hand, daß sie entlassen war.
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