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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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plötzlich zu schrumpfen.
    »Gewiß ist er zu vorsichtig, als daß er einen Geheimplan in den Beichtstuhl brächte. Seid Ihr überzeugt, daß es sich nicht um oberflächliche Privatkorrespondenz handelt?« Wolseys Stimme klang eisig.
    »Nicht er hat gebeichtet, sondern Mistress Popincourt, die ganz verrückt vor Eifersucht ist, weil er sich heimlich das Porträt einer anderen beschafft hat«, unterbrach Ashford. Wolsey wandte ihm sein gutes Auge zu und schenkte ihm einen Fischblick. Das macht das rote Haar, dachte er, und da ihm selbst beim Kämmen immer mehr Haare ausfielen, musterte er gereizt Ashfords volle, ungebärdige kastanienbraune Lockenpracht. Das macht ihn unbesonnen. Was er braucht, ist Gesetztheit, Reife. »Der Priester hier wird es bestätigen«, sagte Ashford. Und zu beflissen ist er auch, dachte Wolsey. Wie ein Welpe. Findet einen verfaulten Knochen und glaubt, ich bin interessiert. Er muß noch geschult werden. Der Priester nickte zu Ashfords Worten.
    »Eine andere Frau? Welche andere Frau?« Wolseys Neugier war geweckt. Gut, dachte Ashford, er hat angebissen. Jetzt haben wir gewonnen. Und vor seinem inneren Auge tanzte Cavendishs hochmütige, verärgerte Miene. Das nächste Mal, mein lieber Cavendish, wird Ashford hinter dem Bischof schreiten und den Federkasten und das Protokollbuch zum Kronrat tragen, nicht du.
    »Hört mich zu Ende an, vielleicht zieht Ihr dann ähnliche Schlüsse wie ich.« Am besten nicht gleich mit allem herausrücken, dachte Ashford. Eine harte Lehre im Ausland, wo er skrupellose Machtmenschen beobachten konnte, hatte aus Ashford einen Fachmann dafür gemacht, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Diese Gabe war für einen Mann, der mit sechzehn Jahren beim Tod seines Vaters zehn Pfund und ein Pferd geerbt hatte, von großem Nutzen, fast so nützlich wie seine saubere Handschrift und die Sprachbegabung, die er während seiner kurzen Laufbahn als Söldner in fremden Diensten entdeckt hatte. Gott und das Glück waren immer auf seiner Seite gewesen, und so hatte er es zu einer ausgezeichneten Stellung gebracht, doch für Ashford war Glück eine Selbstverständlichkeit, er hatte es irgendwie gepachtet, zumindest aber stand es ihm zu. Alles eine Sache der Strategie, dachte er und freute sich, daß sein Plan aufging. Man weckt Interesse, ohne alles zu verraten. Es glich der Einnahme eines Arsenals, ohne daß dabei das Pulver hochging.
    Wolsey vergrub das Kinn in der Hand und lauschte. Sein rechtes Lid hing herunter, und das wirkte unheildrohend auf den Beichtvater und schien ihm die Sprache zu verschlagen. Ashford hielt inne, fuhr dann aber fort. »Bei einem Abendessen in Greenwich überredeten die Gäste de Longueville, eine Gespenstergeschichte zum besten zu geben. Anscheinend hat ein gewisser Edelmann einem gewissen Maler in der Stadt den Auftrag für eine Miniatur nach einem lebensgroßen Leinwandgemälde erteilt –«
    »Ja, ja, fahrt fort.« Wolseys Geduld reichte nicht für langatmige Geschichten.
    »Als er zurückkehrte und die Miniatur abholen wollte, traf er vor dem Haus des Künstlers einen Priester, der die Frau des Künstlers gerade davon unterrichten wollte, daß ihr Mann in der Nacht zuvor am anderen Ende der Stadt ermordet worden war. Doch wie staunte der Edelmann, das Porträt war dennoch fertig. Die ahnungslose Frau erklärte, ihr Mann sei in Geistergestalt zurückgekehrt und habe das Werk vollendet.«
    »Geistergestalt, ha«, höhnte Wolsey. »Der Mann hatte einen Lehrjungen, der die Arbeit fertigstellte, und die Frau drehte ihm eine Lehrlingsarbeit für ein Meisterhonorar an.«
    »Das war auch mein erster Gedanke, Euer Gnaden. Ihr wißt ja, wie leicht erregbar Franzosen sind. Das Bildnis soll jedoch ein Meisterwerk allererster Güte sein.« Ashford verzog das Gesicht und gab die drollige Nachahmung eines französischen Kunstkenners. Auch wenn er sich noch so sehr um den gebührenden Ernst bemühte, er konnte nicht verbergen, daß ihm ein gelungener Streich gefiel. Und genau dieser Charakterzug hatte Wolsey bewogen, ihn einzustellen. Er war der Kundschafter schlechthin. Wolseys beste Pläne hatten immer etwas von einem Streich an sich, und da sich die beiden auf dieser Ebene verstanden, gelang es Robert Ashford, so zu handeln, als wäre Wolsey nicht fern, sondern leibhaftig zugegen. Es war eine Begabung, die Wolsey schätzte und zugleich verachtete, so wie man einen etwas unguten Charakterzug verachtet, den man eigentlich hätte ablegen sollen, als man es in der

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