Die Suche nach dem Regenbogen
Hand.« Er winkte seinem Geheimschreiber, und der wußte auf der Stelle, was er wollte, und reichte dem Bischof das Vergrößerungsglas. »Seht her«, sagte Wolsey und betrachtete die Miniatur durch das Glas, »die Arbeit ist zierlicher. Seht Ihr die Schraffur unter dem Kinn? Fast unsichtbar, so fein sind die Striche. So arbeitet in England niemand. Ja, vermutlich stellt sich heraus, daß Dallet einen fremdländischen Lehrjungen hatte – einen, der ihn übertroffen hat und dessen Namen er aus Neid verschwieg.«
»In der Tat höchst kunstvoll gefertigt«, sagte der Geheimschreiber, der den kurzen verschlüsselten Brief in ordentliches Englisch übertragen hatte und sich nun die Miniatur ansah, die sein Herr in der Hand hielt.
»Master Dallet hätte seine Krone nicht lange behalten, wenn dieser Lehrjunge bekannt geworden wäre. Der hätte sich sogar ohne einen Meistertitel selbständig und ihm Konkurrenz machen können«, bemerkte Ashford, der dicht hinter dem Geheimschreiber stand, ihm über die Schulter blickte und das Gemälde mit seinen klugen haselnußbraunen Augen betrachtete.
Wolsey legte es hin und griff nach dem entschlüsselten Brief. »Artigkeiten«, sagte er, »und wenig mehr. ›Das Bildnis, das diesen Brief begleitet, ist von Prinzessin Mary Tudor, der jüngeren Schwester des Königs von England, wie es von Euch angefordert wurde. Mein Wort darauf, daß das Porträt nicht lügt und ihren Charakter wie auch ihre Züge in aller Lebendigkeit und in allen Einzelheiten wiedergibt –‹ De Longueville muß in regelmäßigem Briefwechsel mit dieser Frau stehen. Elender! Doch wie können wir das jetzt für uns nutzen?« Wolseys Finger trommelten ungeduldig auf der Lehne seines großen, mit Kissen gepolsterten Stuhls, während er nachdachte.
»De Longueville hat recht mit ihrem Charakter. Dieser Künstler scheint mittels der Gesichtszüge die Gedanken der Person schlechthin abzubilden. Das ist wirklich höchst ungewöhnlich«, sagte Ashford.
Wolsey drehte sich jäh zu ihm um und sagte: »Und welche Gedanken scheinen das zu sein? Was kann die Französin diesem Gemälde entnehmen? Eine ehrliche Antwort bitte.«
Ashford antwortete mit dem Ungestüm und der Bitterkeit eines hitzköpfigen jungen Mannes, der abgewiesen wurde und dessen Wunde noch frisch ist. »Sie wird ein leichtfertiges Mädchen sehen, das nur Liebe, Schmuck und Kleider im Kopf hat – ein aufbrausendes Mädchen ohne die erforderliche Beharrlichkeit für weitreichende, ehrgeizige Pläne. Kurzum, einen Menschen, der leicht zu lenken –«
»– und ihr nicht gewachsen ist«, beendete Wolsey den Satz. »Vielleicht ist es besser, sie das wissen zu lassen, damit sie die Ehe nicht hintertreibt. Wir werden es ihr mit einem langsamen Kurier zuschicken, wenn die Vorbereitungen fast abgeschlossen sind. Und laßt uns beten, daß der alte König mit seiner neuen, jungen Frau noch einen Erben zeugen kann – einen englischen Erben für den französischen Thron.«
»Doch wenn der König stirbt, bevor das Kind volljährig ist –«
»Wir müssen schon jetzt Pläne machen, um sicherzustellen, daß die Königin Regentin wird, anderenfalls –«
»– anderenfalls wird Franz von Angoulême Regent, und Louise von Savoyen wird Regentinmutter. Eine Mutter, deren ganzer Ehrgeiz nur auf eins abzielt, nämlich ihren Sohn auf den Thron zu bringen.«
»So ist es. Kleinen Kindern kann etwas zustoßen, Ashford. Ein offenes Fenster, eine kranke Amme. Nein, wir müssen ihr immer drei Schritt voraus sein.« Wolsey besaß bereits das Vertrauen der Prinzessin. Er zweifelte nicht daran, daß sie sich von ihm leiten lassen würde. Doch auf die Entfernung! Wolsey schüttelte den Kopf und bedauerte, daß sie so jung war und nicht begriff, welche Kräfte gegen sie ins Feld geführt wurden. Wenn es doch nur Margaret gewesen wäre! Voll Bedauern klappte er die Schatulle mit dem Porträt zu. »Das hier gebe ich höchst ungern aus der Hand«, sagte er, »aber der Gedanke, daß ich schon bald den unbekannten Meister in meinen Diensten haben werde, tröstet mich über den Verlust hinweg.«
Der Geheimschreiber brachte mit sorgsamer Hand die Siegel wieder an dem Brief an. Wolsey seufzte, als er sah, wie die Schatulle erneut in die gewachste Seide eingenäht wurde, als wäre sie nie abgefangen worden, dann wurden auch die äußeren Siegel wieder angebracht. »Master Ashford, treibt diesen Maler auf, und bringt ihn mir hierher nach Brideswell«, sagte er. »Einen Mann, der die Seele
Weitere Kostenlose Bücher