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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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würdig wäre.
    Das zweite Projekt war nicht so persönlich, lag ihm aber gleichwohl genauso am Herzen: Es ging um eine vollständige Neuordnung der europäischen Mächte, natürlich zugunsten Englands. Das Herzstück seines Plans war ein Bündnis mit Frankreich, Englands größtem Feind, als Gegengewicht zu Spanien und dem Heiligen Römischen Reich. Der Schlüssel zu dem Plan war jedoch eine Frau, nein, eher ein kokettes, unbeschwertes, verwöhntes Mädchen von siebzehn Jahren, Mary Tudor, die jüngere Schwester des Königs. Gerade als sich Wolsey den Kopf darüber zerbrach, wie er sein Projekt angehen sollte, war die Gemahlin des Königs von Frankreich gestorben, was ihm wie gerufen kam. In Geheimverhandlungen (und hier war ihm de Longueville wirklich zupaß gekommen!) hatte Wolsey dem französischen König Heinrichs frisch verwitwete Schwester Margaret, die Königin von Schottland, angeboten. Doch der alte König hatte sie abgelehnt. Die Königin, so sei ihm zu Ohren gekommen, wäre korpulent und zählte bereits fünfundzwanzig Jahre.
    Wolsey hatte abgewartet wie die Katze vor dem Mauseloch, während der alte König andere Bräute prüfte und verwarf. In aller Ruhe taxierte er den Alten: ein Mann, der versucht, seine verlorene Jugend zurückzugewinnen, so überlegte der durchtriebene Prälat. Er will Schönheit, er will Leichtfertigkeit, er redet sich ein, daß er das alles nur wegen eines Erben tut. Mit beinahe satirischer Geschicklichkeit hatte der Almosenpfleger des Königs den allerbesten Köder vor seiner Nase baumeln lassen: Er hatte angeboten, das Bündnis zwischen Frankreich und England mit der schönsten und leichtfertigsten Prinzessin Europas zu besiegeln. Der französische König zögerte; Wolsey schickte ihm mit Geheimkurier ein lebensgroßes Porträt ihres Kopfes in Dreiviertelansicht, mit leicht geöffneten Lippen, einladend schimmernden Augen unter langen Wimpern (es hatte nicht geschadet, daß der Meister, der es malte, recht gut aussah und eine Schmeichelzunge besaß). Das Gemälde war dazu gedacht, das Blut des alten Mannes in Wallung zu bringen. Bei dem Gedanken mußte Wolsey lächeln. Selbst sein französischer Kundschafter, dem man das Porträt übergeben hatte, war der Bewunderung voll. Ein äußerst heikles Unterfangen, das brillant gelungen war. Und er hatte unter großer Geheimhaltung arbeiten müssen, damit der Schwiegervater des englischen Königs, der König von Spanien, nicht zum Gegenzug ausholte, denn der hatte seine Spione überall!
    Nachdem das Bankett durchgesprochen war und es in allen Gehirnschubladen summte, verabschiedete Wolsey seinen Küchenchef. Der Almosenpfleger des Königs erwartete in Kürze de Longueville mit guten Nachrichten aus Frankreich, hoffentlich. Statt dessen kamen Master Ashford und ein Priester, dessen Name Wolsey hätte einfallen sollen, auf den er aber im Augenblick nicht kam. Als man seinen Sekretär und den Beichtvater vorließ, blickte Wolsey betont von Papieren auf, mit denen er sich angeblich beschäftigte, und tat damit kund: Beeilt euch bitte.
    »Euer Gnaden haben mich gebeten, über neue Entwicklungen im Fall de Longueville zu berichten. Ich bin gekommen, weil ich Grund zu der Annahme habe, daß er insgeheim mit Frankreich korrespondiert.« Master Ashford war unwillkürlich bänglich zumute. Er war zwar jung und ein Draufgänger und vergleichsweise neu in bischöflichen Diensten, hatte jedoch schon begriffen, daß man auch die gefährliche Kunst beherrschen mußte, den Großen dieser Welt schlechte Nachrichten zu überbringen. Und bei seiner Tätigkeit als privater Kundschafter, Laufbursche und Briefeschreiber in vier Sprachen hatte er bereits die völlige Skrupellosigkeit erkannt, die sich unter Wolseys seidig anmutendem Ehrgeiz versteckte. Daß er jedoch mit dem Beichtvater und den Geheimnissen vorstellig wurde, die er von ihm erfahren hatte, dafür gab es auch ein privates Motiv, und das lohnte das Risiko: Er wollte seinen Hauptrivalen ausstechen, Wolseys anderen Privatsekretär, diesen glattzüngigen George Cavendish, diesen Schönredner, der schon in der Wiege eine Hofschranze gewesen war und Ashford ungerechterweise um die ihm gebührende Anerkennung brachte. Jetzt wollte er mit einem einzigen Coup in der Gunst seines Herrn höher als jener steigen.
    Der Priester, dem Master Ashford mit Silberzunge, Goldmünzen und Versprechungen auf die Gunst des mächtigen Bischofs das Geheimnis aus der Nase gezogen hatte, schien unter Wolseys kaltem Blick

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