Die Suche nach dem Regenbogen
glaube, er nimmt uns die Mühe ab, die Besitzer des Buches aufzutreiben und zum Schweigen zu bringen. Wir werden ihn beobachten, ihn jedoch in Ruhe lassen, bis er alles beisammen hat, dann nehmen wir es an uns.«
»Aber woher wollen wir wissen, wann er das geschafft hat?« fragte der Diener, reichte Maître Bellier eine Fackel hoch und bestieg dann flink sein Maultier, hielt das andere jedoch noch fest.
»Wenn es so aussieht, als ob er ins Ausland reisen will. Dann kümmern wir uns um ihn.«
Oben ließ sich Crouch in sein Nachthemd helfen, sein Herz hämmerte, und sein Hirn raste. Dieser Franzose mit seinem sinnlosen Übereifer. Zweifellos hielt er sich für klug. Aber er hatte das Geheimnis verraten. Die Abtei von Sion existierte, der Steuermann existierte, die Weissagungen trogen nicht, und ihre Erfüllung stand unmittelbar bevor. Das Buch war von unschätzbarem Wert.
Nur zum Vergnügen berechnete er zunächst den Preis, den ein Usurpator vielleicht für ein Buch der Weissagungen zahlen würde, das ihn an die Macht und seiner Sache Gefolgsleute brächte. Dann hielt er inne und taxierte den Preis, den ein regierender Monarch vielleicht für die Kenntnis der Zukunft Frankreichs zahlen würde. Welche Wonne, ihnen das Wissen der Jahrhunderte anzubieten. Er malte sich aus, wie er eine Auktion abhielt. Wen würde er einladen? Wolsey für den König von England? Heinrich hatte noch immer Ansprüche in Frankreich. Oder vielleicht den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches? Ein möglicher Kandidat. Er hat mehr Geld, und Frankreich war ihm ein Dorn im Auge. Doch in Wahrheit ist es eine Verschwendung, dachte er. Wie alle Herrscher sind sie zu dumm, als daß sie etwas Wertvolles zu schätzen wüßten. Nur ich würde dieses Buch richtig zu nutzen wissen. Während sein Hirn Pläne und Gegenpläne schmiedete und er sich seinen Aufstieg zu den Höhen der Macht ausmalte, wuchs die Gier, das ganze Manuskript zu besitzen, und nagte an ihm. In dieser Nacht tat er kaum ein Auge zu.
Kapitel 8
Z unächst war es mir sehr leicht vorgekommen, doch als ich erst einmal dabei war, merkte ich, daß ich nicht genügend überlegt hatte, wie man eine posthume Karriere aufbaute. Ich hatte gedacht, der schwierigste Teil wären die vielen Lügen, die ich der Kundschaft aufbinden müßte, doch darin hatte ich mich geirrt. Es stimmt, die Lügen belasteten meine Seele, doch glücklicherweise war ich in der Osterzeit zur Beichte gewesen, und das war vor der ganzen Schwindelei. Also brachte ich für jede Lüge ein kleines Zeichen am Türrahmen an, damit ich kommenden Advent die genaue Zahl beichten konnte und keine unterschlüge. Das ist praktisch, wenn man nicht allzuoft zur Beichte geht, doch wenn ich eine Nonne wäre, es würde kein gutes Ende mit mir nehmen. Ich meine, ich habe viel für die Kirche übrig, besonders wenn die Musik gut ist, und natürlich liebe ich Gott und Jesus und all die Heiligen und vor allem die Jungfrau Maria, die ich mir gern zum Vorbild nehmen würde, aber das ist einfach aussichtslos. Ich bin auf der Suche nach einer nicht so hohen Heiligen, vorzugsweise einer Malerin, als Vorbild, aber bislang habe ich noch keine gefunden. Und solange ich das nicht habe, ist es einfacher, dreitausendvierhundertundeinundzwanzig Lügen insgesamt zu beichten, als jede einzelne aufzuzählen. Und der Priester sagt ohnedies immer: »O nein, Ihr müßt nicht jede einzelne aufzählen«, und das mit ermattet klingender Stimme, weil meine Beichten so lange dauern. Vielleicht sollte ich beichten, daß ich ihn damit hereinlege, aber ich glaube, er weiß Bescheid und hat mich aufgegeben.
Das mit den Lügen ist also nicht ganz so schlimm, doch wo kaufen Tote ihre Farben? Das heißt, lange kann man nicht so tun, als machte man Besorgungen für den Ehemann, denn irgendwann sagt der Apotheker: »Wenn ich mich recht entsinne, so wurde Euer Gatte in St. Vedast bestattet und hat eine hübsche Messingtafel an der Wand, oder?« Und so werden die Wege länger und länger, bis man alle Apotheker Londons abgeklappert und sich die Füße wund gelaufen hat. Und jemanden aus dem Haus kann ich nicht schicken, denn der würde gewißlich betrogen. Farben muß man fühlen und riechen, anfassen und sehen, sonst weiß man nicht, ob sie gut sind oder ob man etwas Zweitklassiges angedreht bekommt.
Ein Weilchen reichte ich noch mit dem, was ich hatte, aber für den dummen Garten Eden hatte ich gleich all meine grünen Farben aufgebraucht. Alaun konnte ich überall
Weitere Kostenlose Bücher