Die Suche nach dem Regenbogen
Gesicht zu sehen, wenn er das hier erlebt hätte! Ha!«
»Ich dachte mir schon, daß alles recht anschaulich geworden ist«, sagte ich erfreut.
»Oje, oje, es ist das vulgärste Bild, das ich meiner Lebtage gesehen habe«, sagte sie, »und ich weiß nicht, ob ich lachen oder dich übers Knie legen soll! Schäm dich!« Sie schlug die Hände vors Gesicht, doch ich sah, daß ihre Schultern zuckten. Mir schien das ein gutes Zeichen. Ein niedrig Gesinnter, der nichts von der wahren Bedeutung des Gemäldes wußte, auf dem es in einem höheren Sinn um Sünde und Vergebung ging, würde wahrscheinlich ein hübsches Sümmchen dafür zahlen. Doch trotz allem, was Mistress Hull über den Verkauf von vielen Gemälden dieser Art gesagt hatte, wußte ich genau, daß ich nie wieder mit soviel Schwung würde malen können wie dieses erste Mal, denn ich muß schon sagen, eine Eingebung des Augenblicks wie diese kam nie wieder.
Kapitel 7
I n der Abenddämmerung ritten zwei Männer auf Maultieren in den Limestreet Ward ein. Das war eine Gegend, in der an die Stadtmauer von London angebaute, einst hochherrschaftliche Wohnhäuser in Mietwohnungen umgewandelt wurden. Hier stand auch das schmalbrüstige alte Haus des namhaften Antiquars, Ritters und ehemaligen Abenteurers Sir Septimus Crouch. Über der Haustür war eine Nische, in der ein sonderbarer hölzerner Kobold stand, der über beide Backen grinste, der Türklopfer war ein messingner Eselskopf aus alten Zeiten. Die Läden im oberen Stockwerk waren geöffnet, und altmodische Vorhänge aus durchscheinendem Leinen wiesen auf Schlafzimmer und Studierzimmer des Hausherrn hin. Crouch glaubte fest daran, daß Abendwind, den man ins Haus ließ, krank machte.
Hinter dem Leinen war schon flackernder Kerzenschein zu sehen. Sir Septimus war daheim und studierte das kürzlich in seinen Besitz gelangte Buch der Weissagungen mit Hilfe eines aufgeschlagenen Zauberbuchs. Es war ein schwieriges Werk, die Verse waren in schlechtem Latein abgefaßt und spielten immer wieder auf rätselhafte irdische, himmlische und diabolische Dinge an. Das Zimmer war beengt und vollgestopft. Der sich neigende Fußboden zeugte vom hohen Alter des Hauses. Stapel von alten Schaubildern, Landkarten und seltsamen Büchern, Kästen mit antiken Münzen und Medaillen und merkwürdige Pokale, Bleidolche und andere Gerätschaften, die eher für die Ausübung der Magie bestimmt waren als für den praktischen Gebrauch, drängten sich in wildem Durcheinander auf den Borden eines offenen Schrankes, auf seinem Arbeitstisch, oben auf einem geöffneten Kleiderschrank und selbst unter dem Bett, wo sie dem Nachttopf seinen Ehrenplatz streitig machten. Auf dem Arbeitstisch vor seinem Manuskript standen ein Schädel und ein prachtvoll gearbeiteter silberner Trinkpokal, der mit unzüchtigen Gestalten verziert war.
»Ha, hmm«, dachte er laut und brachte den mächtigen Leib auf dem gepolsterten Stuhl in eine andere Sitzstellung, dann schob er sich die ledergerahmte Brille wieder auf die Nase. »Eindeutig das Geheimnis. Das heilige Blut – ein Gegenstand – gewährt vollkommene Macht über die gesamte Christenheit und die Heiden. Es wird irgendwo von diesen Leuten versteckt – die Abtei von Sion. Nach dem, was der ehrenwerte Simon in den ersten Versen der Weissagung andeutet, werden sie sich irgendwann zeigen, die wahre Dynastie wieder einsetzen und ein Reich schaffen, wie man es hier auf Erden noch nie gesehen hat. Also, gibt es sie nun noch, oder handelt es sich um einen allegorischen Namen? Der Steuermann. Hmm. Gebietet durch die Jahrhunderte über die Abtei und ihre heilige Aufgabe. Das ist ziemlich klar. Falls es diesen Burschen noch immer geben sollte. Wer könnte das sein? Sie dürften einige verschlissen haben, seitdem dieses Buch vergraben wurde.« Crouch stand auf und schenkte sich noch einmal aus der Silberflasche auf seinem Tisch von dem schweren, süßen Wein ein. Er blickte betrübt in den Kelch und schwenkte den Wein. Der letzte aus dem Faß, und nirgendwo in ganz London seinesgleichen. Gleichviel, er würde bald Edleres genießen, wenn er erst Könige beriet und den Aufstieg von großen Reichen überwachte. Hier stand es geschrieben. Er mußte die Weissagungen nur entschlüsseln. Wolsey, wer war das schon? Ein Niemand. Crouch würde die Macht hinter dem neuen Thron sein, dem größten, den Europa je gesehen hatte. Crouch wußte Bescheid. Crouch hatte studiert. Nur Crouchs brillantes Hirn sah, daß der Weg dahin durch
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