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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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niedere Volk mischen müssen, um auf die andere Seite der Brücke zu gelangen. Ich gehe immer gern die Thames Street entlang, weil man da sehen kann, ob jemand wirklich Hochvermögendes aussteigt, dessen Kleidung man bewundern kann. Mir gefallen nun einmal schöne Kleider, aber ich erfreue mich lieber mit den Augen daran, als daß ich sie im Schrank hätte, wo sie mir im Wege wären. Besonders gefallen mir Farbe und Schimmer. Und manche Menschen tragen ihre Kleider, und andere werden von ihren Kleidern getragen, und auch das ist interessant anzusehen.
    Auf der Thames Street konnte ich Livrierte rufen hören: »Macht Platz, Platz für Seine Gnaden!« und wußte, daß jemand Bedeutendes die Treppe heraufkam und sich unter die Menge mischen mußte, wo ich dann einen Blick auf ihn erhaschen konnte. Ich hoffte auf einen Lord mit goldener Stickerei, doch die Läufer kündigten fortwährend Bischof Wolsey an, damit wir ihm nicht auf den Saum traten, und das ist auch richtig so, denn Kirchenmänner von Rang dürfen sich recht oft unmittelbar mit Gott unterhalten, was ich aufregend finde.
    Die Menge teilte sich unter Geschrei und Gedrängel, und ich sah, daß dem Bischof ein Kreuzträger mit einem großen Silberkruzifix voranschritt. Hinter ihm und neben ihm gingen Wachen und Zeremonienmeister und Schreiber in seiner Livree, dazu mehrere Priester in schlichtem Gewand. Zwei Männer in zur Livree passenden samtenen Schauben, Federkasten und Schwert im Gürtel, folgten seinem Zug, und da sie jung waren und gut aussahen, bildeten sie einen starken Kontrast zu dem Bischof, denn der war sehr fett und obendrein alt, möglicherweise sogar schon vierzig. Einer der beiden war blond und rosenwangig und sah in dem dunklen Violett und Grau besonders gut aus. Wo auch immer der Bischof hinblickte, er blickte auch dorthin. Wann immer der Bischof die Nase rümpfte, er rümpfte sie auch. Der Bischof blickte gereizt. Mit einer geschmeidigen Geste reichte ihm der blonde Mann mit dem Federkasten seine Ambrakugel, und der Bischof steckte die Nase hinein, damit er nicht die schlechte Stadtluft einatmen mußte. Der andere Schreiber beobachtete den ersten dabei, wie der seinem Herrn so elegant half, und das mit so eifersüchtiger und erboster Miene, daß ich am liebsten losgelacht hätte. Dann blickte der Bischof geradeaus, so als dächte er erhabene Gedanken, bei denen man ihn nicht stören durfte, und der blonde Mann sah aus, als dächte auch er Erhabenes, und der andere, der kastanienbraune Locken hatte, was stets auf einen schlechten Charakter hindeutet, wandte die Augen ab, als könnte er den Anblick des blonden Schreibers nicht ertragen. Darüber hätte ich am liebsten noch mehr gelacht, was wieder einmal beweist, daß die Welt stets kleine Vergnügungen bereithält, wenn man die Menschen nur genau beobachtet.
    Der Bischof schien nicht zu merken, daß seine Wache die gaffende Menge teilte, sondern steckte die Nase in die Ambrakugel. Seine Augen waren sehr kalt, doch das lag gewiß daran, daß er so tief in Gedanken versunken war. Als Almosenpfleger des Königs war er gewiß auf dem Weg nach Greenwich, um dem König bei seinen guten Werken frommen Rat zu erteilen, und das machte ihm wohl Sorgen, da Könige bei ihren guten Werken viel Hilfe brauchen. Seine Gewänder waren märchenhaft und ganz aus damastener Seide in den schönsten, dunklen Violetttönen, mit ein wenig Elfenbein abgesetzt, und dazu kam ein erlesen gefertigtes großes goldenes Kruzifix mit einem Christus.
    Nun kann ich ja verstehen, daß jemand, der wirklich gute damastene Seide trägt, nicht in den Schlamm treten möchte, doch in der Menge gärte es, da Ausgefallenes sie oft aufhetzt und sie sich nicht so an Farben erfreut wie ich. Ich konnte die Menschen Dinge murren hören wie »Diese Pracht – putzt der sich aber raus – wie ein Fürst«, »Wo der herkommt, wie kann er da nur so vornehm tun?« und dergleichen mehr. »Zu großartig für einen Gottesmann«, fauchte eine alte Frau, doch leider in der Nähe eines hartgesichtigen Priesters aus dem Gefolge des Bischofs.
    »Was war das, Weib?« fragte der Priester und blickte sie grimmig an. Die Frau fuhr zurück, denn wer möchte schon weggeschleppt werden und die Zunge durchbohrt bekommen, und so stammelte sie: »Ich habe gesagt – ich habe gesagt, Gott hat den Mann groß gemacht«, und schon hatte sie es geschafft, in dem Gedränge hinter mir unterzutauchen. Ich merkte, daß sich der Schreiber umsah und flüchtig lächelte, und

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