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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Diensten weit gereist war.
    »So gar nicht schmeichelhaft. Meiner Ansicht nach sollte der Garten Eden wie England im Sommer aussehen. Habt Ihr die Malerin mitgebracht?«
    »Wie es Euer Wunsch war, Euer Gnaden. Sie wartet im Vorzimmer.«
    Wolseys Hirn arbeitete fieberhaft. Verschwendung war ihm ein Greuel. Nun hatte dieses Malgenie ihn zwar enttäuscht, weil es eine Frau war. Doch auch Frauen können nützlich sein, insbesondere wenn sie sich leiten lassen, dachte er. Was könnte schlauer sein, was harmloser und schmeichelhafter wirken, als an den Haushalt eines Edelmannes einen Porträtmaler auszuleihen, der ein Bildnis anfertigt und zugleich die Ohren aufmacht? Und eine Frau – die gelangt in Kreise, die einem Mann auf immer verschlossen sind. Alles kommt auf ihren Charakter an, überlegte er.
    Als sich die Tür öffnete und ein Lakai die Malerin ins Zimmer führte, rechnete Wolsey die guten und die schlechten Seiten seines Planes gegeneinander auf. Sie war jünger, als er gedacht hatte: gut und schlecht zugleich, aber eher schlecht. Als sie niederkniete und seinen Ring küßte, nahm er sie näher in Augenschein. Schickliches Schwarz, geziemend demutsvoll und gottesfürchtig. Gut. Hat gewißlich Ehrfurcht vor meiner geistlichen Autorität. Dann musterte er sie noch eingehender. Etwas an ihr war merkwürdig. Etwas wartete darauf, sich Bahn zu brechen. Machte das die verirrte rötliche Locke, die sich aus ihrem schlichten Kopfputz gelöst hatte, oder vielleicht die grüne Farbe, die er unter dem Nagel ihres rechten Zeigefingers sah? Etwas wollte sich Bahn brechen, eindeutig schlecht. Die Hände waren mollig, die Finger kurz und flink. Wirkten kundig. Gut. Sie blickte auf, und er erforschte ihr Gesicht mit seinem einschüchternden Hängelidblick. Aha, sie war gerade dem Mädchenalter entwachsen, mit ein paar kindlichen Sommersprossen auf der Stupsnase und einem großzügigen, fröhlich wirkenden Mund. War sie eine Klatschbase? Das wäre schlecht. Die Augen jedoch sprachen eine andere Sprache. Blau, mit hellen Wimpern, erschrocken blickend. Ein schlichtes Gemüt. Ashford hatte recht. Gut. Dann sah er näher hin. Die Augen gaben den Blick zurück, einen merkwürdig mitleidsvollen, abschätzenden Blick, sorgsam verborgen, aber gleichwohl erkennbar für den gerissenen Almosenpfleger des Königs. Schlecht. Er wollte urteilen und nicht beurteilt werden. Sonderbar bei einer Frau, eindeutig schlecht. Insgesamt sehr gemischte Gefühle, dachte er. Abwarten. Abwarten.
    »Mistress Dallet, habt Ihr Beispiele für Eure kleinformatigen Arbeiten mitgebracht?«
    »Das habe ich, Euer Gnaden«, antwortete sie und öffnete den kleinen Holzkasten, den sie bei sich trug. Sie holte drei schlicht gedrechselte Schatullen heraus, von denen jede ungefähr zwei Zoll im Durchmesser maß. »Die Arbeiten hier habe ich zu meinem eigenen Vergnügen angefertigt. Die erste zeigt meine liebe Mistress Littleton –« Sie reichte Wolsey die Schatulle, und er öffnete sie eigenartig behutsam. Alle Anwesenden konnten hören, wie er den Atem anhielt. Der Pinselduktus, mit kleinsten Pinseln aus Fehhaar ausgeführt, war unendlich fein, die Farben leuchteten satt. Fast zu satt für ein so gewöhnliches Thema, dachte Wolsey, als er die grauhaarige alte Frau mit der schlichten Haube sah, deren blasses Gesicht sich vor einem Hintergrund aus strahlendem Himmelsblau abhob.
    »Eine Dienerin«, sagte er gemessen. Ohne es zu wollen, rührte ihn das winzige Bild. Das Gesicht wirkte abgehärmt, die Augen freundlich. »Aber mehr als nur eine Dienerin«, bemerkte er. »Ehrlich. Vertrauenswürdig. Kümmert sich um Euch – nein, opfert sich auf. Eine alte Kinderfrau vielleicht. Eure, so will mir scheinen.«
    »So ist es, Euer Gnaden«, antwortete sie. Wolsey hob eine Augenbraue und ließ das Gesicht auf dem Doppelkinn ruhen. Ja, genau das wollte er haben. Er gab die Miniatur an einen seiner Gefolgsleute weiter, der laut über die vollendete Pinselführung staunte, doch nicht sah, was Wolsey daran abgelesen hatte. Charakter, Wahrheit, die zwei Zoll poliertes Pergament ausstrahlten.
    »Das zweite Bild zeigt Mistress Catherine Hull«, sagte die Frau. Wolsey öffnete die kleine Schatulle und blickte in die scharfen Augen eines auf die Zwanzig zugehenden Mädchens, die ihn ansahen. Sie hätte hübsch sein können, mit den üppigen gelben Locken und rosigen Wangen, aber etwas Unzufriedenes lag in ihrem Gesichtsausdruck.
    »Ein junges Mädchen, dessen Bitterkeit ihre Schönheit

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