Die Suche nach dem Regenbogen
und das löste mir die Zunge. Ich blickte ihn also an und sagte: »Jeder Tanzbär braucht wohl einen Aufpasser.« Er stand nur da und sah inmitten all der runden, rosigen Evas so groß und schlaksig und beschämt aus, und da bemerkte ich einen eigenartigen Ausdruck in seinen Augen, einen Ausdruck, als ob wir einander verstünden. »Gibt er Euch immer solche Aufträge?« fragte ich.
»Es ist eine Ehre, der ergebene Diener eines so großen und edlen Herrn zu sein«, sagte er.
»Ganz meine Meinung«, gab ich zurück.
»Das hier muß verschwinden«, sagte er und deutete in die Runde.
»Ich weiß«, erwiderte ich, »das ist alles sehr unzüchtig. Derlei dürfen ehrbare Frauen nicht sehen.«
»Ganz davon zu schweigen, derlei zu malen«, sagte er. »Wie seid Ihr überhaupt darauf gekommen?«
»Ach, der Maler unten hat vor seinem Tod solche Bilder gemalt. Und als Mistress Hull gesagt hat, sie braucht Nachschub, habe ich ihr den Gefallen getan.«
»Dann seid Ihr in Wirklichkeit zwei tote Maler.«
»Vermutlich«, sagte ich und seufzte zerknirscht.
»Ihr solltet Euch schämen«, sagte er.
»Das täte ich ja auch, wenn ich Zeit dazu hätte. Es ist nämlich nicht leicht, sich durchzuschlagen. Jedermann behauptet, gute Christen sorgen für Witwen und Waisen, aber mich haben sie dabei wohl übersehen – und ich bin beides.«
»Ich weiß«, sagte er. Und da wußte ich, mehr bekam ich nicht aus ihm heraus, obschon mehr in ihm zu stecken schien. Unwillkürlich überlegte ich, was das wohl sein mochte.
Ashford saß allein an seinem kleinen Schreibtisch im Vorzimmer zu Bischof Wolseys Kabinett, schrieb den letzten Brief des Almosenpflegers nach Frankreich noch einmal ab und übersetzte ihn. Auf dem Feuerrost glühten ein paar Kohlen, und trübes, graues Licht fiel seitlich durch die schmalen Fenster. Der kalte und klamme Frühling stimmte sein Herz melancholisch. Wieder einmal war es Cavendish, der Wolsey in den Kronrat begleiten durfte, doch dieses Mal war es Ashford einerlei. Er wollte allein sein, um seine Verwirrung zu verbergen. Es war genau die Jahreszeit, in der Mistress Lucas ihm brieflich mitgeteilt hatte, daß sie die Verlobung löste, um einen wohlhabenden älteren Nachbarn zu heiraten. »Ich habe mein Herz nicht gut genug gekannt«, schrieb sie, und dann zählte sie seine Untugenden auf, so viele Untugenden! An der Aufstellung erkannte er die Hand ihres Vaters. Der hatte ihn einen »kleinen Habenichts« genannt. Bei dem Gedanken an diese Beleidigung knirschte er mit den Zähnen. Ha! Wenn er ihm jetzt die Auszeichnungen unter die Nase reiben könnte, die auf den Diener eines großen Mannes wie Bischof Wolsey warteten. Ein Jammer, daß ein einfacher Landedelmann nicht am Hofe des Bischofs empfangen wurde.
Doch etwas störte ihn beim alljährlichen Schwelgen in Bitterkeit. Immer wieder sah er vor seinem inneren Auge ein sommersprossiges Gesicht mit einem Fleck grüner Farbe direkt auf dem Nasenrücken und hörte, wie ihm eine drollige Stimme Lebensweisheiten aus einem Ratgeber für gute Umgangsformen erklärte. Gerade als er seinen Zorn wieder auf die Erinnerung an das schmale Gesicht und die adretten blonden Zöpfe von Mistress Lucas gesammelt hatte, hörte er jemanden sagen: »Jeder Tanzbär braucht wohl einen Aufpasser«, und er blickte auf sie hinunter und in ein Paar eigenartig mitfühlender blauer Augen und sah eine dralle, kleine Gestalt, die fest in ernstes Schwarz geschnürt war. Eine Betrügerin, sagte er bei sich. Sie ist auch nicht besser als der Rest. Anfangs hat sie alle mit dieser Gespenstergeschichte hinters Licht geführt. Dann haben sie und dieses Weib mich auf die Suche nach einem Lehrjungen geschickt, den es gar nicht gab. Und wenn man bedenkt, daß sie diese gräßlichen Bilder von Adam und Eva gemalt und sie als Werke eines Toten ausgegeben hat! Aber dennoch empfand er die Frau inzwischen als sehr unterhaltsam. Doch diesen Gedanken unterdrückte er heftig. Eine Witwe ohne Vermögen oder Familie – sie war nicht ehrbar, sie war unwert. Halt! Spiel nicht den Heuchler, indem du die Argumente benutzt, die der alte Master Lucas gegen dich verwendet hat! Nein, diese Frau war wie alle ihres Geschlechts, nur beherzter und klüger. Er kam nicht von ihr los, und dieses Mal fielen ihm die kurzfingrigen Hände ein, die so sauber und behutsam waren, jedoch unter dem Nagel des Zeigefingers grüne Farbe aufwiesen. Und hatte er nicht auch eine rötliche Locke unter ihrem zweispitzigen Kopfputz hervorlugen
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