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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Reichtümer, die heute den großen Herren, ja sogar der Kirche selbst gehören, der Allgemeinheit gestohlen worden sind. Dazumal in der guten alten Zeit, als alle Männer ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts verdienten –«
    »Und alle Frauen –«
    »Oh, und alle Frauen –«
    »Vor allem die Maler –«
    »Ei, vermutlich auch die Maler, falls es die gab –«
    »Natürlich gab es die. Und sie brauchten Farben.«
    »Wir sollten uns erheben und uns alles zurückholen. Die Ländereien mit Steckrüben für alle bepflanzen, Feuerholz gegen die Kälte schlagen, Kaninchen für die Hungrigen fangen –«
    »Und Malerinnen Farben verkaufen. Gewiß gehört das auch dazu.«
    »Nun ja, natürlich. Nichts Umwerfendes, aber von großer Symbolkraft.«
    »So ist es. Und es wäre noch symbolischer, wenn Ihr mir diese Farben zu dem gleichen Preis abgeben würdet, den die selbstsüchtigen hohen Herren und die verderbten Zunftbrüder von den Gilden dafür zahlen.«
    »Die übervorteile ich doch immer!« rief er. »Weniger! Susanna Dillard berechne ich weniger!«
    »Das ist eine bedeutende Geste«, sagte ich.
    »Bedeutsam. Und sollen die Witwen nicht witwenlos sein und die Waisen nicht waisenlos –«
    »Ihr habt mein Blut in Wallung gebracht«, sagte ich. »Jetzt male ich mit neuer Kraft, da ich weiß, daß ich mich mit jedem Pinselstrich gegen die verderbten Herren dieser Erde erhebe.«
    »Pinsel zu Schwertern«, rief er.
    »Zwei Unzen Bleiweiß«, rief ich. Und mit feurigem Blick machte er sich daran, mir auf seiner großen Waage abzuwiegen, was ich brauchte.

    »Du lieber Himmel, worum ging es denn bei dem ganzen Geschrei?« fragte Nan, als wir uns mit allem, was wir brauchten, von ihm verabschiedet hatten.
    »Ach, er ist irre«, antwortete ich. »Das kommt von den ganzen Dämpfen, die er im Hinterzimmer einatmet. Quecksilber, Auripigment, Gott weiß was. Es steigt ihm zu Kopf. Seit unserer letzten Begegnung ist es schlimmer mit ihm geworden.«
    »Und was ist mit dem Gerede von gleichem Besitz für alle? Das ist doch unanständig«, sagte sie naserümpfend. »Und ketzerisch. Ich meine, Herren sind Herren, und das gemeine Volk ist gemein, weil es so Gottes Wille ist. Wenn er gewollt hätte, daß alle gleich viel besitzen, dann wäre es auch so.«
    »Da komme ich auch nicht mit«, sagte ich. »Ich male lieber und lasse andere disputieren. So gefällt es mir besser. O du liebe Zeit, hoffentlich erinnert er sich an sein Versprechen, daß er mir einen guten Preis machen will.« Wir waren bereits auf der Hauptstraße, als wir jemanden hinter uns herlaufen und außer Atem rufen hörten.
    »Mistress! Mistress!« Es war der Lehrjunge. Ja, nun war es passiert. Jetzt liefen mir auch noch die Lehrjungen nach, soviel stand fest. Er drängte sich an den Hunden vorbei und redete noch immer atemlos auf uns ein. »Mistress, der Herr ist zuweilen vergeßlich. Ihr wißt schon, er hat Sorgen, und dann seine Arbeit. Aber wenn Ihr Nachricht in den Laden schickt, dann kümmere ich mich darum, daß alles, was Ihr haben wollt, ordentlich zusammengestellt und bei Euch abgeliefert wird. Das dürfte bequemer für Euch sein. Gewiß verläßt eine Dame wie Ihr bei schlechtem Wetter nicht gern das Haus.«
    »Das ist sehr zuvorkommend von dir – ah –«
    »Tom, Mistress. Tom Whitley, zu Euren Diensten, Mistress.«
    »Nun ja, dann will ich es so halten«, antwortete ich, doch als wir weitergingen, merkte ich, daß er uns nachsah, bis wir um die Ecke bogen.
    »O je, ich glaube, er hat sich in dich verliebt«, sagte Nan.
    »Kindliche Schwärmerei«, gab ich zurück.
    »Öffne ihm behutsam die Augen«, sagte Nan. »Schließlich sorgt er dafür, daß gut gewogen wird, solange sein Herz für dich schlägt. Wenn du ihn vor den Kopf stößt, betrügt er dich gewiß.«
    »Keine Bange, Nan, irgendwie erinnert er mich an Felix.«
    »Weil er auch nicht zeichnen kann?«
    »Ja, das auch. Aber er meint es gut, und das geht meistens schief. Du weißt, Felix war immer mein Liebling. Er hätte sich um mich gekümmert, wenn er am Leben geblieben wäre.«
    »Ja, dann wäre vieles anders«, sagte Nan, machte einen ganz grimmigen Mund und trat nach einem Stein in der Gosse.
    Wir betraten den Laden unter unseren Räumen, und da stand Mistress Hull und war in ein Verkaufsgespräch mit einem Mann vertieft, der mit seinen verdreckten Stiefeln, der grauen Kapuze und dem schwarzen Umhang weitgereist wirkte. Sie kehrten uns den Rücken zu und verstellten den Blick auf das Bild vor sich.

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