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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Vorzeichen hatte der alte König von Frankreich nicht widerstehen können und im rosigen Frühlicht seine Falkner, Jäger und Hunde angefordert. Die Jagd auf Vierfüßer, mit lärmenden Hörnern, bellenden Hunden und ihrer ganzen Kraftmeierei, langweilte ihn mittlerweile. Die Falknerei jedoch war eine Wissenschaft; sie verlangte ausgezeichnete Kenntnisse über Tiere, Vögel und Menschen. Stille und Strategie waren wichtiger als prahlerische Heldentaten. Da er zu schwach zum Reiten war, wurde er, hager und graugesichtig, von zwei ruhigen rötlichbraunen Pferden in einer Pferdesänfte zu den feuchten grünen Wiesen jenseits des Château de Blois getragen. Auf seinem Handgelenk saß sein Liebling, ein Gerfalke, und neben seiner Sänfte ritten seine alten Ratgeber in Jagdkleidung, die von dunkler Erdfarbe war, damit die Vögel, die sie anpirschten, nicht erschraken und aufstoben. In einiger Entfernung ritt ein Dutzend Falkner, dahinter kamen die Hundeführer, die den zottigen grauen Tieren Ruhe geboten. Und ein weiterer Trupp berittener Falkner kreiste die Kraniche ein. Der Kranich, mit scharfem Schnabel und viel größer als ein Falke, galt als die edelste Jagdbeute. Die Kranichjagd mit mehreren abgerichteten Vögeln, die den Kranich gleichzeitig in der Luft schlugen, war eine äußerst schwierige Kunst.
    Ein alter Kranich plusterte die Federn und stob auf. Auf ein Zeichen des Königs hin wurden zwei Falken losgelassen und dazu sein eigener. Unter schrillem Geschrei flogen sie ihre Beute an. Vollendet, dachte der König, das ist vollendet. Der Kranich hieb mit dem scharfen Schnabel nach dem ersten Falken, dann griffen ihn auch der zweite und der dritte Falke an. Doch der König hörte Hufgeklapper und Gewieher von schlecht dressierten Pferden hinter sich. Der Wind wehte laute Stimmen und Gelächter heran. Junge Herren des Hofes, sorglos, unbekümmert. Der Lärm hatte die Kraniche aufgestört. Sie schlugen mit den großen Schwingen und stiegen auf, kamen ihrem bedrängten Gefährten zu Hilfe. Mit hohen, durchdringenden Schreien griffen sie die Falken an, drangen auf sie ein, hieben nach ihnen. Der König preßte den Mund erzürnt zu einer schmalen Linie zusammen, und bei dem Anblick wurde sein Gesicht noch grauer. Wie konnten diese achtlosen Flegel es wagen, ihm den Angriff der Falken zu stören! Es kam selten vor, daß sich Kraniche so beunruhigen ließen. Das Geklirr von Zaumzeug und der Stimmenlärm hatte sie auf die Gefahr aufmerksam gemacht und ihm die Jagd verdorben. Doch die jüngeren Männer hatten bereits gemerkt, was sie angerichtet hatten, und ließen ihre Pferde inzwischen im Schritt gehen. Der König brauchte sie gar nicht anzusehen, er wußte auch so, wer da kam. Ihre Stimmen hatten sie verraten. François d'Angoulême und seine Freunde Bonnivet und Fleurange. Laut, lästig, dreist.
    Doch wie ein General im Feld mußte sich der König auf die Schlacht konzentrieren. »Die Hunde«, sagte er, und als der kämpfende, noch immer um sich schlagende Kranich zu Boden fiel und sich zwei Falken auf ihn setzten, da packten die auf seinen Befehl losgelassenen Hunde das Tier bei den Beinen. Doch sein eigener Falke war verwundet und abgestürzt. Sein bester, sein liebster. Der Oberfalkner des Königs galoppierte zu ihm hinüber. Würde er überleben? Die sonst so finstere Miene des Königs war steinern vor Wut, seine Augen schossen Blitze. Die entkommenen Kraniche waren bereits weiße Flecken am hellblauen Morgenhimmel.
    »Euer Majestät, was für ein Jammer…«, sagte der Comte de Guise und beugte sich zu dem wutentbrannten König.
    »Dieser dreiste Kindskopf«, zischte der König durch zusammengebissene Zähne. »Um Frankreichs willen, ein anderer Erbe muß her.«

    Sie waren wieder einmal zusammen, Bruder und Schwester, und es war fast wie in alten Zeiten, ehe ihre Heirat mit dem Duc d'Alençon sie in die Abgeschiedenheit der Normandie geführt hatte. Die Familie hatte sich zu Sommeranfang in Blois versammelt, um eine lang erwartete Hochzeit zu feiern, die von François mit Claude von Frankreich, der ältesten Tochter des Königs und seiner zweiten Königin, Anne von Bretagne. Es war der vorletzte Schritt zur höchsten Macht, doch einer, dem man unendliche Hindernisse in den Weg gelegt hatte. Im Gegensatz zum Königreich Frankreich konnten die ausgedehnten Ländereien der Bretagne auch in der weiblichen Linie vererbt werden. Der König hatte Anne, die Witwe seines Bruders, geheiratet, um die gebietsmäßige Einheit

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