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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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erwecken will.«
    »Sie ist gar nicht so schlecht, Bruder. Und Ihr müßt aufhören herumzuspielen und müßt Pläne schmieden. Falls sie ein Kind bekommt, müßt Ihr sicherstellen, daß Ihr Regent werdet. Eine englische Regentin wäre Frankreichs Untergang. Ihr müßt an den Hof gehen. Redet mit den Alten, mit de Guise und La Trémoille und den anderen, die Euch so langweilen. Schmeichelt ihnen. Erweist Euch als klug und reif.« François war blaß geworden. Der Thron, bereits in Reichweite, konnte ihm noch entrissen werden. Ihm, dem einzigen männlichen Erben der Valois, dem einzigen Sohn, ihm, dem von seiner Mutter abgöttisch geliebten Cäsar. So gewaltig war sein Selbstvertrauen, daß er die Möglichkeit nicht in Betracht gezogen hatte.
    »Wer hat das gesagt? Hat Mutter diesem Plan zugestimmt?«
    »Sie hat ihn sich ausgedacht. Aber ich warne Euch, Ihr müßt so tun, als ob Euch die Idee dazu von ganz allein gekommen wäre. Sie sorgt sich dieser Tage so, daß ich um ihre Gesundheit fürchte. Der König wirft ihr alle möglichen Steine in den Weg. Er tobt über die Anweisungen, die sie den Köchen, den Wäscherinnen erteilt. In seinem Haus befiehlt nur er, sagt er. Habt Ihr nicht bemerkt, wie bitter, wie böse er schaut, wenn er sie unter den Hofdamen erblickt, bei Eurem Anblick übrigens auch. Zeigt Mutter, daß Ihr Euch ernstlich verändert habt. Es wird sie erleichtern. Sie liebt Euch über alles und lebt nur für Euer Glück.«
    »Das geht doch nicht. Das ist unmöglich«, sagte François kopfschüttelnd.
    »Das geht ganz einfach, und Ihr dürft die Dinge nicht treiben lassen, sonst ist es zu spät«, sagte sie. »Die Verhandlungen sind weit gediehen und von seinen engsten Beratern abgesegnet. Die verachten Euch genau wie er. Und sie haben ihm Appetit gemacht und ihn in seiner Verblendung bestätigt.«
    François schüttelte ungläubig den Kopf. »Ein Kind als Erbe? Frankreich würde auseinanderfallen. Die Bretagne würde sich von der Krone lossagen. Es sei denn – man würde das Kind mit Renée vermählen. Schamlos – mein Erbe teilen? Dann wäre Bourbon ja genauso mächtig wie ich… Gleichwohl, nein, nein – es leuchtet ein. Bis zur Volljährigkeit des Kindes würden sie eine Marionette als Regenten benötigen. Eine fremdländische Königin, einen Schwächling, den sie in der Hand haben. Mit einer Regentin würden die Greise ihre Macht behalten, koste es Frankreich, was es wolle.« Selbst François, dessen junges Hirn sich nie lange mit einem Thema befaßte, begriff allmählich, welche Zerstörung die Laune eines alten Mannes anrichten könnte.
    »Seht Euch nur dies an«, sagte seine Schwester, »und Ihr begreift alles. Sagt Mutter aber nicht, daß ich es Euch gezeigt habe.« Sie holte eine kleine, runde Holzschatulle aus dem Strickbeutel an ihrem Handgelenk und stellte sie mitten auf das Schachbrett. Geschickt versperrte sie den anderen in der Galerie mit ihrem Körper die Sicht. »Über dieses Bildnis kursiert eine äußerst merkwürdige Geschichte. De Longueville hat behauptet, daß es in London von einem Geist gemalt wurde.« Und während seine Schwester mit ihrer Geschichte begann, öffnete François den Deckel der Schatulle und betrachtete das frische, eigensinnige Gesicht ausgiebig. Eine echte Schönheit und nicht wie die mißgestaltete, fette kleine Frau, die er der Bretagne zuliebe am Hals hatte. Auf einmal verspürte er Angst. Angst wegen der Erben mit dem kecken Gesicht, die diese Frau zwischen ihn und den Thron stellen konnte. Und inmitten der Angst etwas anderes. Begehren.

    Der große Bankettsaal in Greenwich war mit Goldstoff drapiert, der wiederum von einem gestickten Fries mit den königlichen Wappen Frankreichs und Englands geziert war. Es war bereits Mitte August, und eine strahlende Hochsommersonne funkelte auf Gold und Seide, auf Stahl und Goldbrokat, während die farbenprächtige Versammlung englischer Lords, ausländischer Würdenträger und päpstlicher Gesandter auf das Eintreffen der Hochzeitsgesellschaft wartete. Wolsey war zugegen, prächtig, strahlend, dazu Norfolk, Dorset, Buckingham, Suffolk und die ersten Grafen des Reiches. Ein hoher Spitzenkragen und eine gediegene Goldkette betonten Suffolks kräftigen Stiernacken. Sein Gesicht leuchtete rot von der Hitze im Raum. Schweiß rann unter seinem üppigen, juwelenbesetzten Federhut hervor und verklebte das dunkle Haar an den Schläfen. Als er sich unter die Menge mischte, ließ er an seinem wiegenden, großspurigen Gang den

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