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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Mann erkennen, der sich höchster Gunst erfreute. Sein Gesicht war Inbild der Selbstgefälligkeit. Der französische König hatte ihm seine Mitwirkung bei den Heiratsverhandlungen mit einer Zuwendung von achthundertfünfundsiebzig livres tournois vergolten – eine außergewöhnlich hohe Summe für einen Mann von petite famille , der es allein durch die Freundschaft mit dem König von England so weit gebracht hatte.
    Wolseys französische Zuwendung war dreimal so hoch wie Suffolks, doch für ihn war das ein Taschengeld. Selbst bei einer Festlichkeit dachte er nur ans Geschäft. Eine seiner Hirnschubladen registrierte, wer in dem vollen Saal mit wem redete. Aha, sagte dieser Teil seines Hirns, ich weiß, wer fehlt. Der spanische Botschafter. Ein Zeichen unseres Triumphes. Eine andere Gehirnschublade berechnete gleichzeitig, wie bald er mit Unterstützung des Papstes seinen Kardinalshut bekommen würde. Sehr bald, sehr bald, flüsterte es. Du hast alle gut bestochen. Geh behutsam vor, geh klug vor, Thomas Wolsey, und du wirst noch der erste englische Papst. Eine kleinere Gehirnschublade entschied, ob er König Ludwigs Geld für die Renovierung von Hampton Court ausgeben oder für York House aufsparen sollte. So viel zu tun und so wenig Zeit. Vielleicht sollte ich meinen Mitarbeiterstab vergrößern, dachte diese Gehirnschublade.
    Endlich traf die königliche Gesellschaft ein. König Heinrich VIII. und Königin Katharina führten den Brautzug an. Mary, die in ihrem prachtvollen Brautkleid ganz steif wirkte, schritt, von ihren Damen begleitet, unmittelbar vor der Gesandtschaft, die den französischen König vertrat. Die beiden Minister, die man zu den der Hochzeit vorausgegangenen Friedensverhandlungen entsandt hatte, wandelten gravitätisch einher. Es waren der französische General Thomas Boyer und der Gouverneur der Normandie, John de Silva. Doch der Prächtigste von allen war Ludwig von Orléans, Duc de Longueville, der in reich mit Juwelen besetzter Schaube als Stellvertreter des französischen Königs glänzte. Der Erzbischof von Canterbury begann die Zeremonie in Latein. Während die langatmige lateinische Ansprache dahindröhnte, ließ Prinzessin Mary, die unter dem schimmernden rotgoldenen Haar ganz blaß war, ihre Augen zunächst über die prachtvollen Stickereien auf dem erzbischöflichen Ornat schweifen und dann weiter, verbarg den Blick jedoch unter gesenkten Wimpern. Ihr Herz hämmerte, und ihre Knie zitterten. Es war der größte Tag ihres jungen Lebens. Sie wurde Königin von Frankreich. Im Geist ließ sie die vielen Ehrungen und Vorteile an sich vorüberziehen, die Wolsey ihr aufgezählt hatte. Sie mußte aufpassen, gewaltig aufpassen, denn sie durfte sich keinen Versprecher leisten, wenn sie de Longueville die Hand zum Eheversprechen per verba de praesenti reichte. Ihr Französisch mußte sich vollendet anhören. Wie sie für diesen Augenblick geübt hatte!
    Langsam und genau wiederholte sie ihr Eheversprechen auf französisch. Sie spürte Hunderte von Augen in ihrem Nacken. Sie beobachteten ihr Gesicht, ihr Gewand, ihre Hände. Sie sehen, daß ich schön bin, dachte sie. De Longueville steckte ihr den Goldreif an den vierten Finger der linken Hand, dann küßte er sie. Fast geschafft, jubelte sie innerlich, und bislang kein Versprecher auf französisch! Dann führten die Damen sie aus dem Saal und kleideten sie in das prachtvolle Nachtgewand für den symbolischen öffentlichen Vollzug der Ehe. Ihr Atem ging stoßweise, sie spürte, wie ihr das Herz gegen die Rippen pochte, als man sie zu dem riesigen Brautlager geleitete. Die Priester hatten es bereits mit Weihwasser besprengt und die Stelle gesegnet, wo sie liegen sollte. De Longueville stand wartend daneben. Er hatte die Schaube abgelegt und trug darunter ein leuchtendrotes Wams und eine Kniehose. Vorsichtig halfen ihre Damen ihr auf das mit Tapisserien umhängte Bett. De Longueville entblößte ein Bein bis zum Oberschenkel und legte sich neben sie.
    Mary lehnte in den üppig verzierten Kissen, lag so steif wie eine Statue und blickte in die Menge der Würdenträger, die den Raum füllten. Weitere Ansprachen in Latein dröhnten über sie hinweg. Sie konnte sehen, wie die Nächststehenden sich den Hals verrenkten, damit sie auch ja alles mitbekamen. Der dunkle Kopf eines hochgewachsenen, gewichtigen Mannes mit grünsamtenem Hut nebst Reiherfeder zeigte sich über der Menge. Suffolk, gold- und erfolgstrotzend. So sollte ein Mann sein. Kühn, tapfer,

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