Die Suche nach den Sternen

Berechnungen zufolge dreihundertundsieben solcher Öffnungen in der Uranus-Schale, aber Maq suchte nach einer ganz bestimmten: eine, deren Käfigwelt verloren gegangen war.
    Als sie nur noch wenige Tage von der Innenseite der Schale entfernt waren, trat plötzlich ein neues Phänomen auf. Das automatische Abwehrsystem der Shellback heulte kurz auf und jagte eine Salve Abfangraketen in Richtung ihres Flugziels. Noch bevor es Ancor gelang, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, zündete vor ihnen eine gewaltige nukleare Detonation, und wenige Sekunden später raste die Shellback durch eine strahlende Plasmawolke, die ihre biologischen Schilde bis ans äußerste belastete.
    Dann ließ das Schiff das Plasma hinter sich, und die Alarmsirenen verstummten. Die Instrumente zeigten an, daß die Shellback zwar einer enormen Strahlendosis ausgesetzt gewesen war, aber die Schilde und die kurze Spanne der Belastung machten es sehr unwahrscheinlich, daß eines der Besatzungsmitglieder echten Schaden davongetragen hatte. Ancor erhöhte unverzüglich den Ortungsradius des automatischen Verteidigungssystems, damit sie früher vor solchen Gefahren gewarnt wurden, und machte sich auf die Suche nach dem Ausgangspunkt des Überraschungsangriffs. Tez war unterdessen in den Waffenleitstand gehastet und versuchte fieberhaft, ein Ziel auszumachen. Nach kurzer Zeit fand er eines direkt vor ihnen, starrte auf das vergrößerte Bild auf den Schirmen und wartete auf Ancors Anweisungen. Sein Zeigefinger schwebte nur wenige Millimeter über dem Feuerknopf.

 
Kapitel 15
     
    »Gaveen-Lyril!« Sine starrte entgeistert auf den Orterschirm. »Maq, warum sollten sie auf uns schießen?«
    »Das würde ich auch gerne wissen«, sagte Ancor.
    Die Tatsache, daß sich hinter dieser Öffnung keine Käfigwelt mehr verbarg, bedeute für die Bewohner der Uranus-Schale einen handfesten Vorteil. Die sonst üblichen Turbulenzzonen an den beiden Enden der Höhlung waren gemeinsam mit der Käfigwelt verschwunden, und so konnte jedes beliebige Exosphärenschiff die Reise zur toten und schwerkraftlosen Innenseite der Schale bestehen.
    Die Bewohner der Uranus-Schale hatten eine Weltraum-Stadt errichtet, die eines Tages die gesamte Innenseite bedecken und damit die furchtbare Überbevölkerung lindern sollte. Diese Stadt – Gaveen-Lyril – bestand aus einer großen Zahl metallener Kuppeln, die von einem regelmäßigen Gitter langer Röhren, den Straßen dieser sonderbaren Kolonie, miteinander verbunden wurden. Beim letzten Besuch der Shellback hatte Gaveen-Lyril eine Einwohnerschaft von knapp einer Millionen Menschen erreicht. Ein flüchtiger Blick auf die Orterschirme verriet bereits, daß sich die Kolonie seitdem nicht ausgebreitet hatte. Trotz der verzweifelten Suche nach Lebensraum schien der Ausbau Gaveen-Lyrils gestoppt.
    »Nicht schießen, Tez. Wenn ich mich nicht irre, haben die dort unten genug Sorgen. Ich glaube, sie haben uns mit jemand anderem verwechselt.«
    »Auf wen hätten sie sonst das Feuer eröffnen sollen?« fragte Sine. »Die Exosphärenschiffe, die von der Außenseite der Schale kommen, sind ihre eigenen.«
    »Das zeigt lediglich, daß wir nicht genug über die Lage hier wissen.« Ancor ging ans Funkgerät und stellte die Frequenz ein, auf der sie bei ihrem letzten Besuch mit Gaveen-Lyril kommuniziert hatten.
    »Hier spricht das Expeditionsschiff Shellback des Instituts für Solaristik auf der Mars-Schale. Sie haben ohne Grund das Feuer auf uns eröffnet. Wieso?«
    Lange Zeit herrschte Stille, dann erwachte der Empfänger zum Leben.
    »Entschuldigen Sie, Shellback! Wir haben Sie für ein Piratenschiff gehalten. Mehrere von ihnen sind in den letzten Tagen durch die Käfigwelt-Öffnung vorgedrungen. Wir glauben, daß sie sich irgendwo sammeln, um unsere Station anzugreifen und zu übernehmen.«
    »Ist die Lage derart verzweifelt, daß Sie sich mit Atomsprengköpfen verteidigen müssen?«
    »Der Ausdruck ›verzweifelt‹ wäre eine glatte Untertreibung. Spreche ich mit Maq Ancor?«
    »Ja.«
    »Hier ist Makroom Dilpath. Sie erinnern sich vielleicht an mich, ich bin der Assistent Buren Blumins, des Leiters von Gaveen-Lyril. Oder besser gesagt: Ich war es. Buren wurde beim letzten Angriff der Piraten getötet. Wir sind äußerst verwundbar und verdanken unsere Existenz in diesem Krieg nur noch der Tatsache, daß Gaveen-Lyril nur intakt irgendeinen Wert besitzt.«
    »Sagten Sie gerade ›Krieg‹?«
    »Ja, totaler Krieg auf der